Gestern saß ich abends mit ein paar Freunden zusammen, um auf die Grundgesetzänderung anzustoßen, die der Bundestag gestern und der Bundesrat heute verabschiedet hat. Künftig wird keine Regierung legal das Bundesverfassungsgericht aufblähen und mit Loyalisten vollstopfen können, um es als Kontrollinstanz über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu neutralisieren. Das Volkskanzler-Szenario, das ich vor fünf Jahren aufgeschrieben habe, ist künftig kein realistisches Szenario mehr.
Das ist ein fantastischer Erfolg, und einige derer, mit denen und auf die ich gestern das Glas erhoben habe, haben Titanisches geleistet, um ihn möglich zu machen. Andererseits: Es bleibt der Regierung weiterhin möglich, die Zweidrittelmehrheit, die zur Wahl von Verfassungsrichter*innen erforderlich ist, mit einfacher Mehrheit abzuschaffen – und zwar ohne dass der Bundesrat dagegen sein Veto einlegen kann. Vor allem die CSU wollte diese Möglichkeit unbedingt behalten (wofür? Tja, wofür?…).
Künftig gibt es also den sogenannten Ersatzwahlmechanismus, der verhindern soll, dass autoritäre Populisten ihre Position als Sperrminorität missbrauchen und durch die Blockade der Wahl von Verfassungsrichter*innen dem Gericht Schaden zufügen: Ist der Bundestag über eine gewisse Frist blockiert, kann der Bundesrat die Wahl vornehmen – und umgekehrt. Stellen wir uns nun folgendes Szenario vor: Die Regierung kontrolliert nicht nur im Bundestag mehr als 50 Prozent der Stimmen, sondern auch im Bundesrat mehr als 33 Prozent. In diesem Szenario könnte die Regierung die Besetzung der Posten, die dem Bundesrat zustehen, gezielt blockieren und so in den Bundestag rüberziehen, dort die Zweidrittelmehrheit abschaffen und so gegen den hilf- und wehrlosen Protest der Opposition und der Länder nicht nur sämtliche Richter*innenposten des Bundestags, sondern auch die des Bundesrats mit Leuten ihrer Wahl besetzen. Und so am Ende genau das Ergebnis herbeiführen, das diese Reform eigentlich verhindern will: ein der Regierung höriges Bundesverfassungsgericht.
Das ist nichts Neues. Simon Willaschek hatte im November auf das Problem hingewiesen, ich in der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss ebenso. Im Bundesrat sind viele stinksauer deswegen, und zwar zu Recht. Sie müssen dieser Grundgesetzänderung zu ihren Lasten zustimmen, ohne deren eklatanten Fehler noch im Vermittlungsausschuss herausverhandeln zu können, damit die Reform vor der Auflösung des Bundestags überhaupt noch zustande kommen kann.
Auch Verfassungspolitik ist Politik. Auch bei der Absicherung des Bundesverfassungsgerichts geht es trotz aller Einigkeits- und Geschlossenheitsbeteuerungen um Macht. Wer sie hat. Und wer ihr unterworfen ist.
++++++++++Anzeige++++++++
Head of Finance
Du möchtest die Gesamtverantwortung für unser Finanzmanagement übernehmen und sicherstellen, dass unsere finanziellen Ressourcen optimal geplant und eingesetzt werden können? Dann bewirb dich bitte bei uns, denn wir suchen zum 01.03.2025 die Nachfolge für die bei uns bereits etablierte und wichtige Position Head of Finance.
Die Stellenausschreibung mit allen Daten und Informationen zum Bewerbungsprozess findest du hier.
Bewerbungsfrist 12.01.2025
++++++++++++++++++++++++
Das Bundesverfassungsgericht ist jetzt besser abgesichert als zuvor. Aber sicher ist es nicht. Und das kann auch gar nicht anders sein. Wer sich vornimmt, das Bundesverfassungsgericht seiner Macht zu unterwerfen, wird immer Möglichkeiten finden. Wie viele und wie günstige, ist rechtlich bis zu einem gewissen Grad gestalt- und begrenzbar. Aber über Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens entscheidet die Politik und nicht das Recht. Die Länder müssen sich der Macht des Bundes beugen – das hält das Bewusstsein wach, dass das Thema nicht erledigt ist, dass es weiter und mehr denn je nötig bleibt, wachsam zu sein und sich vorzubereiten und zu organisieren und Wissen zu sammeln, um das Bundesverfassungsgericht davor schützen zu können, der Macht unterworfen zu werden. Was man tun kann in diesen furchterregenden Zeiten? Genau das.
Wir sind dieser Frage in diesem ereignisreichen Jahr permanent begegnet: Das ist ja sehr interessant, Ihre Szenarien zu Thüringen und all das, aber was kann ich, was kann ICH denn jetzt tun?
Sich organisieren. Sich solidarisieren. Sich vorbereiten.
Wenn Sie zum Beispiel Rechtsanwält*in sind: Einer der entscheidenden Treiber dieser Grundgesetzänderung war der Deutsche Anwaltverein. Ja, genau, der gute alte DAV. Oh, Sie sind ausgetreten, weil Ihnen der Mitgliedsbeitrag zu teuer war? Vielleicht überlegen Sie sich das noch mal. Ein mächtiges, schlagkräftiges, gut geöltes Netzwerk von ihrerseits gut vernetzten und hoch kompetenten Jurist*innen. Das sind viele. Da steckt richtiges politisches Machtpotenzial drin. Damit kann man was bewegen. Und gar europäisch vernetzt! Eine halbe Million informierte, organisierte, entschlossene Jurist*innen! Wenn das die Nadel nicht bewegt, was dann?
Wenn Sie sich Sorgen wegen der Nazis machen: Da gibt es Leute, die tun da was dagegen, und zwar unter äußerst schweren Bedingungen. Damit die das tun können, gibt es Solidaritätsnetzwerke wie Polylux. Da können Sie Fördermitglied werden. Oder der Gegenrechtsschutz. Da bewegt Ihr Geld was, ganz unmittelbar. Die Rechten sind extrem gut darin, den Rechtsstaat für ihre Zwecke einsetzen. Ulrich Vosgerau hat auf GoFundMe fast 190.000 Euro eingesammelt, um alle möglichen Leute, die sich unter Berufung auf die Correctiv-Recherchen zu dem berüchtigten Potsdamer Treffen geäußert haben, mit SLAPP-Klagen überziehen zu können. Warum sind ihre Gegner nicht mindestens genauso gut darin? Woran fehlt es da?
Wenn Sie sich wünschen, mehr zu wissen über das, was da auf uns zukommt: Da kommen wir ins Spiel. Wir brauchen Ihre Unterstützung. Wir brauchen viele kleine Spenden. Aber was wir auch brauchen, sind viele große Spenden. Was Sie tun können, ist sich überlegen, was für Sie der maximale Betrag wäre, auf den Sie verzichten könnten, ohne es wirklich zu merken. 5 Euro? 50 Euro? Oder vielleicht 50.000 Euro? Und dann hier diesen Betrag eintragen und auf „Jetzt spenden“ klicken. Vielen Dank! Damit können wir arbeiten, das ist toll! Damit haben Sie was getan!
Jetzt spenden!
Es fehlt nicht an Dingen, die Sie tun können. Wir können was tun. Natürlich können wir das. In Syrien haben sie verdammt noch mal gerade einen blutrünstigen Diktator gestürzt! Natürlich können wir was tun. Dieses Jahr, und nächstes Jahr und das Jahr darauf.
In diesem Sinne: frohe Feiertage.
++++++++++Anzeige++++++++
Applications are now open for the Institute for Law & AI’s EU Summer Research Fellowship!
This 8–12 week fellowship is remote-first with an in-person week in Brussels, Belgium, or Cambridge, UK, that offers law students, professionals, and academics the opportunity to work at the leading edge of AI, law, and policy, focusing on EU law and the EU AI Act.
Applications are due by January 31, 2025, at 11:59 pm and will be reviewed on a rolling basis.
We look forward to reviewing your application!
++++++++++++++++++++++++
2024: Ein Blick zurück
Auch diese Jahr werden wir in eine kurze Weihnachtspause gehen, um nach diesem ziemlich verrücktem Jahr durchzuatmen. Gänzlich Verfassungsblog-frei soll diese Zeit jedoch auch nicht sein! Daher haben sich die Mitglieder des Verfassungsblog-Teams einige ihrer diesjährigen Lieblingsartikel herausgesucht, um Ihnen für die freie Zeit einige Leseempfehlungen mit an die Hand zu geben:
Maxim Bönnemann
Wenn Verfassung und Kultur gegeneinander ausgespielt werden, dann wird es gefährlich. INDIRA JAISING, Indiens bekannteste Menschenrechtsanwältin, hat Indiens Abgleiten in den autoritären Populismus in einem faszinierenden Essay in die Verfassungsgeschichte des Landes eingebettet. Gespickt mit biografischen Reflexionen spannt Jaising den Bogen von der Unabhängigkeitsbewegung zum Siegeszug der Hindutva-Ideologie. Das Fundament der indischen Verfassung sei liberal, doch inzwischen werde es von einem kulturalistisch aufgeladenen Nationalismus überwölbt. Die Lage ist also ernst, aber nicht hoffnungslos: Verfassungen lassen sich verteidigen, nicht nur in den Institutionen, sondern auch auf der Straße. Dass dies gelingen könne, zeige nicht zuletzt der Blick auf die lange Tradition friedfertiger Proteste und zivilen Ungehorsams.
Anja Bossow
Ob das Recht ein Instrument der Gerechtigkeit oder der Ordnung ist – mit dieser Frage muss sich jeder Student, Wissenschaftler oder Praktiker des Rechts auseinandersetzen. Das Völkerrecht gibt regelmäßig der Ordnung statt der Gerechtigkeit den Vorrang. Doch OMAR YOUSEF SHEHABI argumentiert, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates beiden Aspekten gerecht werden könnte. Sein Beitrag erzählt und kontextualisiert die Geschichte und die Rolle des palästinensischen Kampfes um (staatliche) Anerkennung und bleibt leider genauso aktuell und dringend wie bei seiner Erstveröffentlichung.
Eva Maria Bredler
Mit Trump sind reproduktive Rechte in den USA wieder akut in Gefahr. Wobei die Geister, die er an den Supreme Court rief, reproduktive Autonomie auch ohne einen Präsidenten Trump zurückstutzten. Jetzt allerdings scheint der Wilde Westen US-amerikanischen Abtreibungsrechts noch wilder werden zu können. Es lohnt sich deshalb, den Text von CAROL SANGER zu lesen (für Deutschland unbedingt auch den von FRIEDERIKE WAPLER) – vor allem, weil Sanger bei all der unsäglichen Abtreibungsregulierung ihren Sinn für Humor und Optimismus behält. Möge auch Ihnen dieser Sinn im neuen Jahr nicht abhandenkommen.
Marie Diekmann
Das Recht – insbesondere in seiner modernen Form subjektiver Rechte – tut sich schwer damit, menschliche Beziehungen zu erfassen. Stattdessen lädt es dazu ein, abstrahierte individuelle Rechtsansprüche isoliert gegeneinander zu stellen – so auch in der immer wiederkehrenden Debatte um das Recht des Schwangerschaftsabbruchs. Der Text von FRIEDERIKE WAPLER greift genau dieses Problem auf und zeigt, wie ich finde, überzeugend und mit wenigen Worten, dass es durchaus möglich ist, Recht und Grundrechte anders zu denken.
Margarita Iov
Ein Beitrag, der mir dieses Jahr geholfen hat, die himmelschreienden Ungerechtigkeiten in der Welt ein kleines bisschen besser zu ertragen, war der Essay von CHILE EBOE-OSUJI, der anhand klassischer Rechtstexte herleitet, warum die ICC-Haftbefehle gegen Putin, Lvova-Belova, Netanyahu und Gallant für die anderen Mitgliedsstaaten bindend sind, obwohl Russland und Israel das Römische Statut nicht unterzeichnet haben.
Klaas Müller
Kaum ein verfassungsrechtliches Thema unserer Zeit ist so missverstanden wie das sog. Neutralitätsgebot. JONAS DEYDAs Untersuchung im Kontext zivilgesellschaftlicher Förderung lässt das Blogherz höher schlagen: historischer Abriss, relevante Rechtsprechung (inklusive eines hilfreichen Sondervotums) und schließlich Überlegungen zum theoretischen Kern – dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Dass das Neutralitätsgebot dennoch ohne Staatsexamen (und vielleicht selbst mit) eine gewisse Unschärfe behält, bleibt ein Problem für die verunsicherte Praxis, für das der Autor nichts kann.
Jasper Nebel
Viel wurde in diesem Jahr über den Konflikt in Palästina diskutiert; regelmäßig wurden dabei beiderseitig Grenzen des Anstands überschritten. Reichlich gestritten wurde auch über Grundsätzliches, etwa über die Frage, was genau wir unter Antisemitismus verstehen. Auch die Antisemitismus-Resolution des Deutschen Bundestags wurde stark kritisiert, da sie sich auf die umstrittene IHRA-Definition bezieht. In ihrem lesenswerten Beitrag weisen ITAMAR MANN und LIHI YONA darauf hin, dass die Resolution nicht nur palästinensische Stimmen zum Schweigen bringen könnte. Auch Jüd*innen, die die derzeitige israelische Politik kritisieren, könnten ins Blickfeld der Resolution geraten. Damit maße sich die deutsche Politik an, Jüd*innen ein bestimmtes Verständnis des Jüdisch-Seins aufzuoktroyieren.
Isabella Risini
Bei dem Fall der KlimaSeniorinnen fühle ich mich immer ein wenig an eine Figur aus einem Steinbeck-Roman erinnert: Cornelia Ruiz. Sie ist hocherfreut über ihren neuen Staubsauger. Und ihre Freude wird auch nicht durch die unbedeutende Tatsache getrübt, dass es in ihrem Haus gar keinen Strom gibt. Ohne Bezug auf John Steinbeck äußerte BERNHARD WEGENER Kritik an dem Klimaseniorinnen-Urteil, und es entspann sich ein Gespräch mit MANUELA NIEHAUS, mit einer Duplik von BERNHARD WEGENER. Ein seltener Dialog.
++++++++++Anzeige++++++++
One Year Later: Rule of Law in Poland
In December 2023, the new Polish government set out to repair the country’s rule of law and restore the judiciary’s independence. One year later, a blog symposium edited by Democracy Reporting International (DRI) evaluates what progress Poland has made, what issues remain unaddressed, and what the outlook is for the rule of law in a country that is about to assume the Presidency of the Council of the EU.
You can find the blog symposium here.
++++++++++++++++++++++++
Moritz Schramm
Ich bin zur Zeit in den USA. Das Bruttoinlandsprodukt hier ist in den letzten zehn Jahren fast 50% mehr gewachsen als dasjenige der Eurozone. Man mag von Indikatoren wie dem Bruttoinlandsprodukt halten, was man will, aber eines scheint recht eindeutig: Um die europäische Wirtschaft steht es maximal mittelmäßig. Verschleppte Reformen, kein Mut bei der Klimapolitik, gammelige Infrastruktur und so weiter. Das wäre eigentlich eine Kernaufgabe für die EU. Endlich wirklich genuin europäische Projekte, ein Shinkansen von Warschau nach Paris und von Stockholm nach Neapel, ein gemeinsamer Klimafonds, was weiß ich. Aber auch hier – wie PETER LINDSETH und PÄIVI LEINO-SANDBERG anlässlich des viel besprochenen Draghi Reports zeigen – stehen die Zeichen eher auf Durchwursteln. Es gibt viel zu tun im nächsten Jahr!
Till Stadtbäumer
Im Juli wurde das rechtsextreme Compact-Magazin nach Vereinsrecht verboten – ein Vorgang zwischen „wehrhafter Demokratie” und einem „Zeitungsverbot durch die Hintertür“. PAULA RHEIN-FISCHER und KATRIN GROH diskutieren in ihren Texten grundlegende Fragen zum Demokratieschutz, dem Verhältnis von Vereinsrecht zur Presse- und Vereinigungsfreiheit sowie zum Bund-Länder Kompetenzgefüge. Zwei spannende Beiträge, die das Vereinsverbot als Instrument der wehrhaften Demokratie kritisch beleuchten.
Jakob Weickert
Im vergangenen Jahr beschäftigte sich das Thüringen-Projekt mit der Strategie autoritärer Populisten. Dabei stellte sich die Frage: Was wäre, wenn autoritäre Populisten staatliche Machtmittel in die Hand bekommen? Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags vom 27. September zeigte dann eindrücklich, dass diese Szenarien schnell Realität werden können. Der Beitrag von JANNIK JASCHINSKI, FRIEDRICH ZILLESSEN, JULIANA TALG und ANNA-MIRA BRANDAU am folgenden Tag ordnete diesen „unverhohlenen“ Umgang mit den Institutionen der parlamentarischen Demokratie ein und identifizierte die dahinterliegende Strategie. Gerade in der wieder aufgeflammten Debatte um ein Parteiverbot ist dieser Beitrag weiterhin hochaktuell und lesenswert.
Henry Wilke
Zu den vielen Beiträgen des Blogs, die ich in diesem Jahr in meinem (nicht-juristischen!) Freundes- und Familienkreis geteilt habe, zählt vor allem die Einordnung von STEFANIE BOCK zu den Anträgen auf Haftbefehle durch den Chefankläger des IStGH im Gaza-Konflikt (bereits am Folgetag veröffentlicht). Gerade in emotional und historisch aufgeladenen Situationen brauchen wir klare und gründliche Analysen – mit juristischer Präzision, aber nicht auf Kosten der Verständlichkeit. Denn auch das bedeutet für uns Open Access: sprachliche Zugänglichkeit.
Friedrich Zillessen
Über 100 Blog Posts sind im Rahmen des Thüringen-Projekts entstanden, die meisten davon in diesem Jahr. Beispielsweise wurden für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, im Begnadigungsrecht, in der Kunstförderung oder bei SLAPPs aktuelle und potenzielle Einfallstore für die autoritär-populistische Strategie identifziert. In Online-Symposien wurde über parlamentarische Obstruktion diskutiert und der Volksbegriff der AfD in Szenarien der Diskriminierung untersucht. Ganz besonders gut haben mir die vielen Texte gefallen, die konkrete, innovative Vorschläge zum besseren Schutz von Gerichten gemacht und diskutiert haben (z.B. TALG/WITTRECK, MACHURA/WEICKERT, KOEPSELL, GUNDLING; und natürlich die Debatte um das BVerfG). Darauf werden wir im neuen Jahr aufbauen, wenn wir im Justiz-Projekt die Verwundbarkeiten der dritten Gewalt untersuchen.
*
Editor’s Pick
von MAXIMILIAN STEINBEIS
Dies ist das Jahr, in dem Trump gewählt wurde. Ohne Tricks, ohne Staatsstreich, ohne Gewalt. Eine Mehrheit der Amerikaner*innen wollte ihn als ihren Präsidenten. Und sie wussten, was sie bekommen. Da kann man schon mal die Versuchung verspüren, an der Demokratie zu verzweifeln.
Dagegen hilft das Buch des Politologen Kolja Möller: „Volk und Elite. Eine Gesellschaftstheorie des Populismus“. Populismus – also der Anspruch, gegenüber den „Eliten“ die Volkssouveränität zu verkörpern – ist weder Skandal noch Segen, so seine Theorie, sondern periodisch notwendig, um Blockaden im Zusammenspiel von Politik, Recht und Wirtschaft zu durchbrechen. Dagegen anzukämpfen und den blockierten Status Quo zu verteidigen, dient nicht unbedingt der Demokratie, sondern kann im Gegenteil den Nährboden für identitäre Autokraten düngen, die von dem blockierten Zustand profitieren. Ihnen das „Volk“, das sie zu verkörpern beanspruchen, streitig machen – das bleibt möglich und nötig in diesen dunklen Zeiten.
*
Die Woche auf dem Verfassungsblog
…zusammengefasst von ANJA BOSSOW
Das Verfahren zwischen Südafrika und Israel vor dem Internationalen Gerichtshof zählt vielleicht zu den bedeutendsten in der Geschichte des Gerichts. Bereits zehn Staaten sind dem Verfahren beigetreten oder haben ihren Beitritt beantragt. Deutschland kündigte seine Absicht zur Intervention bereits kurz nach der Klageeinreichung Südafrikas an, noch bevor es selbst in einen Rechtsstreit mit Nicaragua über die Unterstützung Israels verwickelt wurde. Geht die Bundesrepublik hierbei den Weg über Art. 63 des IGH-Statuts, tappt sie jedoch direkt in die Falle doppelter Standards, meint VALENTIN VON STOSCH (DE) – und zeigt einen Weg, wie diese Falle möglicherweise umgangen werden kann.
Donald Trump ist noch nicht als US-Präsident vereidigt, doch die Ankündigungen für seine ersten Amtshandlungen sind bereits jetzt groß. Nicht nur den Krieg Russlands gegen die Ukraine möchte er „in 24 Stunden“ nach Amtsantritt beenden, auch für das Außenwirtschafts- und damit Welthandelsrecht hat der künftige US-Präsident tiefgreifende Eingriffe in Aussicht gestellt. Warum die dabei ins Auge gefassten Zollerhöhungen sowohl aus Perspektive des Völkerrechts als auch des US-amerikanischen Rechts Probleme aufwerfen, zeigt CHRISTIAN TIETJE (DE)
Bereits wenige Tage nach dem Sturz des bisherigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist eine Diskussion entbrannt, in der Forderungen nach sofortiger Rückkehr aller Syrer:innen laut werden. Oft aus den Augen gerät dabei das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Prüfung, was sowohl das Verfahren selbst, die Anerkennung als Flüchtling als auch den Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis betrifft. Beim genaueren Hinsehen spricht hier einiges gegen ein pauschales Vorgehen, meint NILS-HENDRIK GROHMANN (DE).
Am 21. Dezember laufen die Mandate von drei Richtern des italienischen Verfassungsgerichts aus, was insgesamt zu vier vakanten Positionen führt. Das Parlament ist zuständig für die Besetzung dieser Posten, jedoch sind die politischen Parteien weit davon entfernt, sich auf Kandidaten zu einigen. ANNA MARIA LECIS COCCO ORTU erklärt, ob die strategische Herauszögerung des Ernennungsprozesses ein Zeichen der Politisierung des Gerichtes ist.
Die Politisierung von verfassungsrechtlichen Organen ist ebenso Thema in Finnland, erklärt MILKA SORMUNEN (ENG). Dort hat das Verfassungsrechtliche Komitee, ein parlamentarisches Organ, das für die ex-ante verfassungsrechtliche Prüfung von Gesetzen zuständig ist, ein Gesetz durchgewunken, obwohl es gegen die Verfassung, Menschenrechtsverpflichtungen und EU-Recht verstößt.
++++++++++Anzeige++++++++
Das Team der Wissenschaftlichen Koordinatorin und Leiterin des Bereichs Wissenschaftskommunikation am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sucht zum 01.06.2025, in Voll- oder Teilzeit, eine/n
Referent*in Wissenschaftskommunikation
Die Stelle ist zunächst auf zwei Jahre befristet; eine Entfristung wird angestrebt.
Wir arbeiten an zukunftsorientierten und gesellschaftlich relevanten Themen und bieten Ihnen die Möglichkeit, Transfer und Kommunikation unserer Forschung aktiv mitzugestalten und an der Weiterentwicklung der Formate und Instrumente unserer forschungsbasierten Wissenschaftskommunikation mitzuarbeiten.
Mehr Informationen finden Sie hier.
++++++++++++++++++++++++
Taiwan wiederum steht kurz vor einer Verfassungskrise. Denn geht es nach dem Willen der stärksten Partei, sollen die Verfahrensregeln des Verfassungsgerichts so geändert werden, dass das Quorum von Richtern für wichtige Entscheidungen erhöht wird. Klingt erstmal harmlos, doch die Folgen könnten gravierend sein, zeigt KUAN-WEI CHEN (ENG).
Die neuseeländische Regierung hat eine Konsultation zu einem Gesetzesentwurf für regulatorische Standards begonnen. Der Entwurf verdient Beachtung, argumentiert LEONID SIROTA (ENG), aufgrund seines bemerkenswert libertären Inhalts, seines neuartigen Umsetzungsmechanismus und der Einsichten, die es liefert, inwiefern sich eine „ungeschriebene“ Verfassung verändern kann.
Stille Wasser sind tief, zumindest wenn sie eigene Rechte haben. Das spanische Verfassungsgericht hat im November über die Salzwasserlagune Mar Menor geurteilt, das erste europäischen Ökosystem, das mit eigenen Rechten ausgestattet wurde. Was das Urteil für die deutsche Diskussion um Rechte der Natur bedeutet, beleuchtet ANDREAS GUTMANN.
Deutschland verstößt gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – dies stellte der EuGH am 14. November fest. Geklagt hatte die Kommission. Entgegen unionsrechtlicher Pflichten habe die Bundesrepublik es versäumt, Naturräume besser zu schützen. Ein wichtiges Urteil für den Schutz der Biodiversität, meint LAURA HILDT (ENG) – und skizziert, welche weiteren Auswirkungen das Urteil haben könnte. Der EuGH hat ebenso beschlossen, dass es gegen Europarecht verstößt, Unionsbürgern, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, den Beitritt zu politischen Parteien zu verwehren. Warum es sich hierbei um Meilensteine für das Recht der Unionsbürgerschaft handelt, erläutert STEVE PEERS (ENG).
Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie soll erreichen, was bestehende Regelungen bislang nicht vermochten: geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede verringern. PHILIPP ROLLER zeigt, warum dies – trotz Kritik – gelingen könnte.
Neues Symposium: One Year Later: Rule of Law in Poland
Die neue polnische Regierung ist nun seit einem Jahr im Amt und sieht sich der anspruchsvollen Aufgabe gegenüber, den von der PiS vorangetriebenen Abbau des Rechtsstaats rückgängig zu machen. Gemeinsam mit unserem Partner Democracy Reporting International haben wir in dieser Woche ein Symposium gestartet, das diesen Prozess aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Die Autor*innen erörtern dabei, welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind und wie die Zukunft der Rechtsstaatlichkeit in einem Land aussieht, das bald den Vorsitz im Rat der EU übernimmt. Auch die spannende Frage, wie man Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen kann, ohne dabei selbst gegen Recht und Gesetz zu verstoßen – ein Thema, das oft für Uneinigkeit und Ratlosigkeit sorgt – wird dabei näher untersucht.
*
Das war es für dieses Jahr von uns! Ihnen alles Gute und erholsame Feiertage,
Ihr
Verfassungsblog-Team
Wenn Sie das wöchentliche Editorial als Email zugesandt bekommen wollen, können Sie es hier bestellen.