Zu den Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Polizeikosten für Hochrisikoveranstaltungen
Mit Urteil vom 14. Januar 2025 (1 BvR 548/22) hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes („BremGebBeitrG“) bestätigt (vgl. dazu die Besprechung von Thorsten Koch). Verbunden damit hat das Gericht auch der Praxis den grundsätzlichen höchstrichterlichen Segen erteilt, die Mehrkosten für Hochrisikospiele in der Fußball-Bundesliga auf die Veranstalter, also den gastgebenden Club und den Verband, die Deutsche Fußball Liga („DFL“), umzulegen. Die Reaktionen auf diese Entscheidung fielen – naturgemäß – gemischt aus, insbesondere weil ihre Folgen von den Beteiligten unterschiedlich beurteilt werden (vgl. im Überblick hier und hier; die Beschwerdeführerin und der Senat der Hansestad Bremen sowie die organisierte Fanszene). Der Beitrag fasst Gegenstand und Ergebnis des verfassungsgerichtlichen Verfahrens zusammen und versucht Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sowie einige der sich daraus ergebenden Folgefragen zu beleuchten.
Verfahrensgang und Gegenstand der Entscheidung
In der Hansestadt Bremen existiert eine landesrechtliche Grundlage für die Gebührenerhebung bei Veranstaltern für den polizeilichen Mehraufwand bei gewinnorientierten, erfahrungsgemäß gewaltgeneigten Großveranstaltungen (ergänzt durch einen entsprechenden Kostentitel in der Kostenverordnung für die innere Verwaltung). Gestützt darauf hat das Land Bremen Gebühren für die polizeilichen Zusatzkosten bei mehreren sogenannten „Hochrisiko“-Spielen, also Fußballspielen mit verschärfter polizeilicher Risikoprognose und daraus resultierender verstärkter Polizeipräsenz, von der DFL erhoben. Diese Praxis haben die Fachgerichte – nach entsprechenden Anpassungen der Gebührenhöhe durch die Stadt – im Wesentlichen gebilligt (BVerwG 9 C 4.18, Urteil vom 29.03.2019 – 9 C 4.18 und Beschluss vom 21.12.2021, OVG Bremen, Urteile vom 11.11.2020 – 2 LC 294/19 und vom 21.02.2018 – 2 LC 139/17)
Die Verfassungsbeschwerde hatte unmittelbar die fachgerichtlichen Entscheidungen zum Gegenstand, mittelbar die Vereinbarkeit von § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG mit der Verfassung. In Bezug auf ersteres war die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung gewahrter Darlegungsanforderungen unzulässig (Rn. 38). Das Vorgehen gegen § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG selbst blieb in der Sache ohne Erfolg (Rn. 43 ff., 52 ff.).
Schlussfolgerungen aus dem verfassungsgerichtlichen Verfahren
Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Entscheidung war allein der polizeiliche Mehraufwand, waren also nur die zusätzlich zu den bei „vergleichbaren, nicht gefahrträchtigen Veranstaltungen“ (Rn. 62, 69) anfallenden Kosten. Die Kosten, um die Sicherheit im öffentlichen Raum bei „normalen“ Veranstaltungen zu gewährleisten, trägt also auch in Bremen weiterhin das Land.
Bei der Überprüfung der fraglichen Hoheitsakte war das Bundesverfassungsgericht – wie stets – auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt. Mit dem Urteil ist also nur geklärt, dass grundsätzlich Gebühren für einen polizeilichen Mehraufwand erhoben werden können. Die jeweilige Erhebung im Einzelfall unterliegt dann, als Maßnahme der öffentlichen Gewalt, der Überprüfung durch die Fachgerichte, Art. 19 Abs. 4 GG. Damit wird die Auseinandersetzung in der Sache in Zukunft nicht mehr primär verfassungsrechtlich geführt werden, sondern politisch und gebührenrechtlich.
1. Politisch ist zu beachten, dass die polizeilichen Mehrkosten nur gestützt auf eine entsprechende gesetzliche Grundlage umgelegt werden können. Die Gesetzgebungskompetenz dafür liegt gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern (BVerfGE 165, 1 <87 f. Rn. 167>). Bisher hat allein die Freie und Hansestadt Bremen einen entsprechenden Gebührentatbestand gesetzlich verankert. Alle anderen Bundesländer haben davon abgesehen (vgl. für entsprechende Überlegungen und erfolglose Versuche: Baden Württemberg (S. 3070) in Verbindung mit (S. 8); Nordrhein/Westphalen (S. 81) und Niedersachsen (S. 629 ff.)), obwohl die Landesrechnungshöfe teilweise den Erlass entsprechender Normen angemahnt haben (vgl. für Baden-Württemberg; Berlin; Sachsen). Folglich wird in diesen Ländern nun der jeweilige Landesgesetzgeber zu entscheiden haben, ob und unter welchen Voraussetzungen die Mehrkosten für entsprechende Veranstaltungen auf die Veranstalter umgelegt werden sollen. Das öffnet den Raum für die Beteiligung aller insoweit relevanten Gruppen und eine gesellschaftliche Verständigung über einige kontroverse Fragen, aber auch für eine jeweils abgestimmte Ausgestaltung der Regelungen. Selbst wenn sich andere Bundesländer durchringen sollten, entsprechende Normen zu erlassen, verblieben ihnen mehrere Stellschrauben, um diese den örtlichen Bedürfnissen anzupassen. Diese sind etwa die erforderliche Mindestteilnehmerzahl an der Veranstaltung, Privilegierungen bestimmter Veranstaltungen (unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes), die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Veranstalter bei der Gebührenerhebung und die Art der Berechnung der Mehrkosten (pauschal oder nach dem tatsächlichen Aufwand).
2. Fachrechtlich konnte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen nicht kontrollieren. Gleichwohl hat es für den Umgang mit entsprechenden Gebührenerhebungen Leitlinien skizziert. So liegt die Letztentscheidung über die erforderlichen polizeilichen Sicherungsmaßnahmen weiterhin bei den Sicherheitsbehörden. Sie haben damit – wie bisher – im Vorfeld verschiedene Szenarien, polizeiliche Vorgehensweisen und Handlungsoptionen abzuwägen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont, dass die vielen abstrakten Kriterien und prognostischen Elemente in § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG („voraussichtlich“, „erfahrungsgemäß“, „vorhersehbar“) eine effektive richterliche Kontrolle als Gegengewicht erfordern (Rn. 50). In Zukunft werden sich entsprechende Rechtsstreitigkeiten also maßgeblich um die „Erforderlichkeit“ der polizeilichen Maßnahmen im Einzelfall drehen und damit die Prognose der Sicherheitsbehörden in den Fokus nehmen. Das führt die retrospektive fachgerichtliche Beurteilung in das sogenannte „Präventionsdilemma“, stellt sie also vor das Problem, dass der Nichteintritt eines Schadens sowohl darauf beruhen kann, dass keine Gefahr bestand, als auch darauf, dass die Gefahr zwar bestand, aber hinreichend Sicherheitskräfte vorhanden waren, um ihren Eintritt zu verhindern.
Die konkreten Folgen der Entscheidung sind offen. Einige mögliche Auswirkungen seien hier gleichwohl skizziert:
Mögliche Folgen in Bezug auf das Datenmaterial für die polizeiliche Einsatzplanung und seine Überprüfung
Weil die Fachgerichte die Gebührenerhebungen effektiv kontrollieren müssen, wird es maßgeblich auf die polizeilichen Gefahrenprognosen ankommen, genauer darauf, ob die diesen zugrundeliegenden Tatsachen den geplanten Polizeikräfteansatz zu rechtfertigen vermögen. Für die Fachgerichte folgt daraus jedenfalls die Pflicht, die tatsächlichen Grundlagen der polizeilichen Prognose selbständig zu überprüfen und auf entgegenstehende Hinweise der Gebührenschuldner einzugehen (Rn. 50).
In der tatsächlichen Umsetzung nicht unproblematisch dürfte die Genese entsprechender Hinweise „aus eigenen Informationsquellen“ (Rn. 50) für die Veranstalter werden. Der mit den erhobenen Gebühren abgegoltene Mehraufwand bezieht sich auf den Schutz des öffentlichen Raumes. Anders als am Ort der Veranstaltung, das dem Hausrecht unterliegt, haben die Veranstalter dort nur in sehr eingeschränktem Umfang das Recht, Daten zu erheben. Das könnte zu verschärften Anforderungen der Gerichte an die Tatsachengrundlage der polizeilichen Einsatzplanung führen. Alternativ erscheint es auch denkbar, die Ansprüche der Veranstalter als Gebührenschuldner auf Einsicht in die polizeilichen Daten stärker auszuformen als bisher.
Verbandsrechtliche Verteilung der Kosten
Nachdem die Inanspruchnahme des Verbandes als Veranstalter von der Rechtsprechung gebilligt worden ist (BVerwG, Urteil vom 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 32 ff.), steht die DFL vor der Frage, auf welches ihrer Mitglieder und ggf. nach welchem Schlüssel diese Kosten umgelegt werden sollen. Dem Initiator des § 4 Abs. 4 BremGebBeitrG, Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, schwebt insoweit ein von der DFL gespeister Fonds vor, über den die Polizeien des Bundes und der Länder ihre Zusatzkosten je nach Aufwand abrechnen. Die insoweit allein entscheidungsbefugte DFL lehnt dies u.a. mit dem berechtigten Hinweis ab, dass so der, aus der Zentralvermarktung an alle Clubs zu verteilende, Betrag geschmälert würde, sodass im Ergebnis jeder Club finanziell an der Erstattung der Polizeikosten beteiligt wäre, unabhängig davon, ob und in welchem Umfang er Anlass zur Erhebung solcher Kosten gegeben hat.
Alternativ könnte man stattdessen überlegen, zumindest den Gastclub an den Kosten für das jeweilige Risikospiel zu beteiligen, um so der Überlegung Rechnung zu tragen, dass es zwar eine Vielzahl möglicher Anhaltspunkte für eine erhöhte polizeiliche Gefahrenwahrnehmung geben kann, der Gastclub und seine Anhänger aber in aller Regel eine Rolle bei dieser Einschätzung spielen dürften. Preist man weiter ein, dass für die Liga ökonomisch nicht alle Spiele gleich wertvoll sind, sondern regelmäßig gerade die besonders emotionalen Spiele überproportionalen Anteil am Wert des Gesamtproduktes „Bundesliga“ haben (Drechsler, NVwZ 2020, 433, 434), diese aber oftmals auch mit einem entsprechenden Gewaltpotenzial einhergehen, sind auch Auswirkungen auf die regelmäßige verbandsinterne Debatte um die Verteilung der Fernsehgelder nicht auszuschließen.
Umlage der Kosten auf „Handlungsstörer“
Die Umlage der Kosten für den polizeilichen Mehraufwand ist nicht der erste Fall, in dem das Fehlverhalten von Zuschauern negative finanzielle Auswirkungen auf die Veranstalter von Sportevents hat. Hat dieses Fehlverhalten zu Sanktionen der Verbände gegen die Clubs geführt, haben Clubs grundsätzlich die Möglichkeit, die störenden Veranstaltungsbesucher in Regress zu nehmen (BGH, Urteil vom 22.09.2016 – VII ZR 14/16). Führt entsprechendes Fehlverhalten nun (mit) dazu, dass Folgebegegnungen gebührenrechtlich als Veranstaltungen mit erhöhtem Risiko eingestuft werden und die Veranstalter dadurch die polizeilichen Zusatzkosten tragen müssen, stellt sich die Frage, ob diese Kosten anteilig von den Veranstaltern an die störenden Zuschauer weitergereicht werden können. Was bei Inhabern von Veranstaltungstickets (und damit Vertragspartnern) bei entsprechender Kausalität ihrer Handlungen grundsätzlich möglich erscheint, dürfte bei Personen, die entsprechende Veranstaltungen gar nicht besucht, sondern nur zum Anlass für ihre Störungen genommen haben, wenig erfolgsversprechend sein, denn deliktsrechtlich sind solche reinen Vermögensschäden nur unter engen Voraussetzungen ersetzbar (Wagner, MüKO BGB, 4. Auflage § 823 Rn. 472).
Internationale Perspektiven
Die Umlage der polizeilichen Zusatzkosten hat auch eine internationale Komponente. Zum einen könnte man argumentieren, dass eine bundesweite Einführung entsprechender Regelungen es in Zukunft für Veranstalter weniger attraktiv machen könnte, kommerzielle Massenveranstaltungen mit großem Zuschauerandrang (z.B. das Finale der Fußball Champions League, das EHF Final Four oder Welt- und Europameisterschaften) in Deutschland auszurichten. Dagegen spricht, dass die rechtlichen Grundlagen solcher Veranstaltungen Verträge zwischen der öffentlichen Hand und den Veranstaltern sind (vgl. etwa: hier), in denen entsprechende Regelungen wohl abbedungen würden. Zum anderen stehen die Clubs des Sportstandortes Deutschland oftmals im internationalen Wettbewerb mit Clubs aus den Nachbarstaaten. Nun gegebenenfalls erhobene zusätzliche Sicherheitskosten schwächen ihre Position Wettbewerb. Allerdings werden die Clubs auch anderswo in Europa teilweise an den Sicherheitskosten außerhalb der Arenen beteiligt.
Fazit
Das Bundesverfassungsgericht hat die Weichen für die Umlage der Zusatzkosten besonders gefahrgeneigter Großveranstaltungen gestellt. Es hat jedoch weder entschieden, wie die polizeilichen Mehrkosten den Veranstaltern in Rechnung gestellt werden sollen, noch, dass dies überhaupt zu passieren hat, sondern lediglich, dass der Gesetzgeber entsprechende Regelungen treffen kann. Die nähere Ausgestaltung solcher Gesetze und die Frage, wer welche Kosten im Ergebnis zu tragen hat, sind dem demokratischen Gesetzgeber und den Verbänden überantwortet. Sie haben damit auch die Möglichkeit, die nun erhobenen Bedenken, z.B. hinsichtlich der Existenzgefährdung von Clubs unterhalb der Lizenzligen (vgl. insoweit bereits das verfassungsrechtliche „Erdrosselungsverbot“ – BVerfG, 1 BvR 548/22 Rn. 85) oder bezüglich Wettbewerbsnachteilen der mit den Zusatzkosten belasteten Heimclubs zu berücksichtigen und auszuräumen oder abzuschwächen.