Migration und Asyl im Koalitionsvertrag – Go Health Pro

Wo gibt es juristische Probleme, was ist Rhetorik und wer hat sich durchgesetzt?

Friedrich Merz bekam mehr als gewollt: Aus dem „Fünf-Punkte-Plan“ des Wahlkampfs wurden 17 Einzelvorhaben im Migrationskapitel des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD. Doch liefert der künftige Kanzler damit auch die „grundsätzliche Wende“ und den „Stopp der illegalen Migration“, die sein Wahlprogramm vollmundig versprochen hatte? Kurzfristig hängt das davon ab, welches von zwei Szenarien eintritt, wenn künftig Asylbewerber an der Grenze zurückgewiesen werden. Das Image des Kanzlers und eines mutmaßlichen Innenministers Dobrindt dürfte also schon in den ersten Wochen geprägt werden – mit offenem Ausgang.

Doch selbst wenn Zurückweisungen eine Trendumkehr bewirkten, würden eine „Wende“ und ein „Stopp der illegalen Migration“ vermutlich ausbleiben. Die 17 Vorhaben bergen so manche Überraschung und rechtspolitischen Sprengstoff, bewegen sich jedoch innerhalb des Spektrums, das die deutsche Asylpolitik seit 20 Jahren prägt: Liberalisierungen und Restriktionen wechseln sich ab (hier, S. 66 ff.; hier, S. 55 ff.), wobei das Pendel derzeit in Richtung der Strenge ausschlägt. Dass aus einer fundamentalen Wende nichts wurde, liegt auch am Koalitionspartner, wofür viele diesen loben.

Zwei Szenarien für die Wirkung von Zurückweisungen

Zahlreiche Faktoren beeinflussen Migrationsbewegungen, weshalb es nicht stimmt, dass die deutschen Grenzkontrollen magisch geringere Asylantragszahlen bewirken. Dennoch sind nationale Maßnahmen relevant. Wir wissen aus der Forschung, dass die Asylmigration auf einer diffusen Informationsgrundlage beruht. Sichtbare Zurückweisungen könnten daher eine Abschreckungswirkung entfalten, wenn internationale Medien über die neue deutsche Härte berichten und die Länder entlang der Reiserouten bestehende Restriktionen verschärfen. Es wiederholte sich, was 2016 mit der EU-Türkei-Erklärung gelang: Eine symbolische Restriktion senkt die ohnehin fallenden Asylzahlen nochmals (hier, S. 20-22).

Friedrich Merz könnte dies als Erfolg verbuchen – und mit diesem Argument die Zurückweisungen gesichtswahrend beenden. Juristisch sind diese nämlich ein Vabanquespiel. An sich verstoßen sie gegen die Dublin-Regeln und lassen sich nur über eine Ausnahmeklausel in den EU-Verträgen rechtfertigen. Ob das gelingt, bleibt eine offene Frage, die juristisch hinreichend diskutiert wurde. Das gilt auch für die politische Entscheidung, was genau die Regierung unter einer „Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ versteht (hier, ab Minute 7:30).

Eilentscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte dürfte es zügig geben. Bis zu den ersten Hauptsache-Urteilen dürften allerdings Monate ins Land ziehen. Verwaltungsgerichte prüfen traditionell gründlich! Der EuGH dürfte frühestens nach einem Jahr entscheiden. Bis dahin sollten die Zurückweisungen allein schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit beendet oder auf eng definierte Fallgruppen begrenzt worden sein (hier, Rn. 8 ff., ab Edition 44). Sie sind, ungeachtet aller Wahlkampfrhetorik, keine Dauerlösung.

Doch was passierte, wenn der Abschreckungseffekt ausbleiben sollte? Friedrich Merz stünde dann gleichsam nackt da, wie der Kaiser im Märchen. Das zentrale Versprechen des lebhaften Wahlkampfs entpuppte sich als Papiertiger. Man kann der demokratischen Mitte nur wünschen, dass dies nicht passiert. Nebst ihren rechtsradikalen Hintermännern wäre Alice Weidel die Gewinnerin, die Merz bereits mit einem Tiger verglich, der zum Sprung ansetzte, letztlich jedoch als „Bettvorleger“ endete.

Vorzüge und Grenzen von „Kontrollsignalen“

Asylpolitik ist notorisch kompliziert. Das erklärt den Wunsch nach „Kontrollsignalen“, mit denen die Politik der skeptischen Öffentlichkeit symbolisch ihre Handlungsfähigkeit verdeutlicht. Das kann, wie ich in meinem aktuellen Buch beschreibe, legitim und richtig sein. Die Politik darf nur nicht auf ihre eigene kommunikative Strategie hereinfallen, indem sie etwa glaubte, Kontrollsignale alleine reichten aus. Diese wirken nachhaltig nur, wenn in ihrem Windschatten eine ganze Palette nationaler, europäischer und internationaler Maßnahmen ergriffen wird, die erst im Zusammenspiel den erhofften Steuerungserfolg erbringen (hier, S. 141-150).

Die Gefahr besteht durchaus, dass Friedrich Merz in diese Falle tappen könnte. Das Sondierungspapier zeigte noch deutlicher als der Koalitionsvertrag, dass die Verhandler penibel darauf geachtet haben, alle fünf Punkte des berühmt-berüchtigten Plans zumindest abgeschwächt durchzusetzen: dauerhafte Grenzkontrollen, Zurückweisungen, mehr Haftplätze und Abschiebungen, Bundesausreisezentren und ein dauerhafter Ausreisearrest.

Was vom Fünf-Punkte-Plan übrigblieb

Bei Zurückweisungen als Prestigeprojekt setzten sich CDU und CSU durch. Der/die Innenminister/in und der Kanzler haben freie Hand, die notwendigen Absprachen und Anweisungen nach ihren Präferenzen auszugestalten. Die Freiheit dürfte erst enden, wenn die Gerichte ihr Veto einlegen. Der Koalitionsvertrag will nur „rechtsstaatliche Maßnahmen“, wobei offen bleibt, wie die Regierung auf divergierende Gerichtsurteile reagierte. Einstweilige Anordnungen aufgrund summarischer Prüfungen und Güterabwägungen dürften wohl kaum ausreichen; doch was ist, wenn vier Hauptsache-Urteile zulasten und zwei zugunsten der Regierung ausfallen? Dann dürfte im Zweifel der Koalitionsausschuss entscheiden.

Bei Grenzkontrollen bestand die SPD darauf, dass diese enden, sobald der EU-Außengrenzschutz und das Dublin-System wieder funktionieren – eine so vage Zielvorgabe, dass letztlich die Politik entscheidet, wann dies der Fall ist. Juristisch erlaubt sind Grenzkontrollen neuerdings für 2,5 Jahre (hier, S. 5). Der Bayerische VGH begrenzte kürzlich den Spielraum, aber man darf das Urteil nicht überschätzen. Das Gericht prüfte nur die Kontrollen von 2022. Solange eine spätere Notifikation die Höchstfrist von 2,5 Jahren neu beginnen lässt, hat die Regierung noch einige Zeit. Außerdem: Selbst wenn die Grenzkontrollen rechtswidrig sein sollten, muss das nicht auf die Zurückweisungen durchschlagen. „Früchte des vergifteten Baumes“ anerkennt der EuGH nicht einmal bei Haftfragen (hier, Rn. 53).

Haftplätze und Abschiebungen will die Bundesregierung forcieren und suggeriert sprachlich einen Neustart, obwohl die versprochene „Rückführungsoffensive“ von der künftigen Koalition nicht „gestartet“ wird, weil die Ampelregierung vor drei Jahren genau dasselbe versprochen hatte. Die Begrifflichkeit kopierte sogar die AfD, die damit im Wahlprogramm ihre Remigrationsagenda sprachlich kaschierte (hier, S. 106). Auf die Einzelheiten bei Abschiebungen kommen wir noch zurück.

Rechtspolitischer Sprengstoff bei Bundesausreisezentren und „Ausreisearrest“

Bundesausreisezentren schafften es abgeschwächt in den Vertrag: durch eine Zentralisierung der Dublin-Verfahren. Den Vertrag kennzeichnet insofern ein gewisser Widerspruch. Einerseits soll infolge der Zurückweisungen niemand mehr einreisen, andererseits will der Bund künftig Dublin effektiver umsetzen. So oder so ist die Zentralisierung richtig. Die vielen Behörden, Abstimmungsbedarfe, komplizierten Gesetze und schleppende Digitalisierung lassen sich mittelfristig nur durch klare Zuständigkeiten überwinden. Es handelt sich um ein Modellprojekt, das im Erfolgsfall für Abschiebungen in Drittstaaten hochskaliert werden könnte.

Ob der Bund auch die Unterbringung übernimmt, soll erst noch geprüft werden. Praktisch dürfte es davon abhängen, wie Bund und Länder bei den jüngst eröffneten „Dublin-Zentren“ kooperieren. Rechtspolitisch bergen diese Sprengstoff, falls der Bund bzw. die Länder die Bewegungsfreiheit aufgrund der neuen Möglichkeiten des reformierten EU-Asylrechts merklich einschränken (hier, Art. 9). Es wäre dies eine strengere Unterbringung als in den bayerischen Ankerzentren (hier, S. 61).

Selbst der dauerhafte Ausreisearrest für Gefährder und Straftäter schaffte es in den Vertrag, wenn auch sprachlich abgeschwächt als Absicht („wollen“) anstelle einer politischen Verpflichtung („werden“; ich danke Kolja Schwartz von der ARD-Rechtsredaktion für den Hinweis). Nun unterscheidet sich der Begriff des „Arrests“ sprachlich von einer „Haft“, wobei mir unbekannt ist, ob dies absichtlich so ist. Falls ja, könnte dies auf abgeschwächte Umsetzungsformen hindeuten: etwa eine elektronische Fußfessel mit begrenztem Bewegungsradius, z.B. nur in einer Stadt.

Juristisch könnte dies einen entscheidenden Unterschied machen. Statt einer Haft (Freiheitsentziehung) könnte dann nur eine Freiheitsbeschränkung vorliegen, die nach Art. 104 Abs. 1 GG, Art. 5 EMRK und der künftigen EU-Rückführungsverordnung einfacher zu rechtfertigen wäre. Theoretisch ist es zwar denkbar, dass BVerfG, EGMR und EuGH ihre Rechtsprechung ändern und – entgegen der Urteile der letzten Jahrzehnte (hier, Rn. 48; und hier, Rn. 212-218, allerdings nur für Asylbewerber) – die „3-Wände-Theorie“ akzeptieren, wonach eine Haft von Ausreisepflichtigen keine Freiheitsentziehung darstellt, weil sie freiwillig ausreisen können. Solche Grundsatzfragen stellen sich bei einer Freiheitsbeschränkung nicht.

Nun also doch: sichere Drittstaaten und „kleine“ sichere Herkunftsländer

Bei Asylverfahren in sicheren Drittstaaten steht das Scheitern schon fest, allerdings nur bei der Rhetorik. Eine von der Bundesregierung zu ergreifende Initiative kann es nicht geben, weil diese längst existiert (das Sondierungsergebnis war insofern ehrlicher formuliert). Einige EU-Mitgliedstaaten werben seit Monaten für eine Reform; in Kürze wird die EU-Kommission einen Vorschlag unterbreiten. Mit deutscher Unterstützung dürfte dann eine Einschränkung fallen, auf die die Ampelregierung noch bestanden hatte: Asylverfahren dürfen auch in sicheren Drittländern stattfinden, in denen sich eine Person noch nie aufhielt (hier, S. 30-32). In der öffentlichen Debatte steht hierfür das britische „Ruanda-Modell“.

Erst bei sorgfältiger Lektüre fällt auf, dass der Vertrag von „Rückführungen und Verbringungen“ in Drittstaaten spricht. Falls dies eine bewusste Formulierung sein sollte, würde dies neben der „Verbringung“ von Asylbewerbern in sichere Drittstaaten auch die „Rückführung“ von Ausreisepflichtigen in andere Länder als ihr Heimatland ermöglichen. Hierzu liegt bereits ein Kommissionsvorschlag vor (hier, Art. 17).

Konkret geht es um „Return hubs“ (Rückkehrzentren), die den Vorzug haben, dass die juristischen Standards niedriger sind, wenn Ausreisepflichtige anstelle von Asylbewerbern abgeschoben werden. Die Logik ist simpel: Wenn man Westafrikaner in einen Drittstaat in der Nähe des Heimatlandes bringt, erhalten sie dort ein adäquates Leben ohne Haft oder kehren freiwillig in die Heimat zurück. Natürlich verlangen Drittstaaten dafür eine Gegenleistung, die im Idealfall gleichwohl zu einem ausbalancierten Gesamtpaket führen kann, wenn die Bundesregierung nur endlich die Erwerbsmigration strategisch einzusetzen lernt (hier, S. 56 f., 150 ff.).

Ein Dauerbrenner in der Asyldebatte ist die Einstufung neuer sicherer Herkunftsländer, die die Verfahren beschleunigt und eventuell eine gewisse Abschreckungswirkung entfaltet, auch wenn die Auswirkungen nicht so dramatisch sind, wie die Politik suggeriert. Der Koalitionsvertrag macht mit vier Ländern den Anfang: Algerien, Indien, Marokko und Tunesien sollen künftig als sicher gelten. Weitere Einstufungen werden bei einer geringen Anerkennungsquote folgen. Ausweislich der Statistiken könnte dies zum Beispiel für Kolumbien und Vietnam relevant sein.

Ab Juni 2026 bietet die GEAS-Reform mehr Beinfreiheit, weil dann Ausnahmen für bestimmte Personengruppen oder Landesteile erlaubt werden (hier, Art. 61 Abs. 2). Falls der EuGH dies in Kürze verbieten sollte, beträfe dies nur die bisherige Richtlinie. Künftig will die Regierung außerdem eine Idee umsetzen, die von Thorsten Frei stammt: unterschiedliche Listen für sichere Herkunftsländer nach dem Grundgesetz und EU-Asylrecht – mit der praktischen Konsequenz, dass mehr Herkunftsländer als sicher eingestuft werden können, weil die EU-Standards weniger streng sind. Das wollte so schon die Ampelregierung, allerdings mittels Bundestagsbeschluss (hier, § 29b). Schwarz-rot setzt nun auf eine Rechtsverordnung.

„GEAS plus“: Bundesregierung will mehr Innovation

Seit einigen Jahren lässt sich in der Asylpolitik ein Rollenwechsel beobachten. NGOs und kritische Wissenschaft warben traditionell für neue Ansätze und dynamische Gerichtsurteile, zeigen sich neuerdings jedoch strukturkonservativ. Anstatt Gesetze und Urteilspraxis zu ändern, müsse die Umsetzung verbessert werden. Umgekehrt wirbt der Europäische Rat für „neue Wege“ und „innovative Lösungen“ (hier, Nr. 39), etwa durch Asylverfahren in Drittstaaten und Rückkehrzentren.

Nichts davon ist leicht umzusetzen – und dennoch versammeln sich dahinter in Brüssel viele. So lässt sich der Korpsgeist bewahren, den der Durchbruch bei der GEAS-Reform schaffte. Außerdem umgeht man damit spalterische Debatten über Dublin-Rückführungen und die Sekundärmigration. Alle Länder wollen wenige Asylbewerber haben. Da einigt man sich darauf, dass „Türsteher“ die Einreise erschweren oder Asylverfahren bzw. Rückkehrzentren in Drittstaaten eingerichtet werden sollen.

Die SPD könnte alsbald feststellen, dass die „Abstimmungen“ mit den Nachbarn bei Zurückweisungen, die der Koalitionsvertrag verlangt, eine Wendung nimmt, die eher CDU und CSU gefallen dürfte. In vielen Hauptstädten weht längst ein Wind, der teilweise deutlich schärfer ist als im schwarz-roten Berlin. Polen will das individuelle Asylrecht aussetzen und die österreichische Zuckerlkoalition forciert Drittstaatsmodelle, ganz ähnlich wie Kopenhagen, Den Haag und auch Prag. Was sagt die SPD, wenn ein mutmaßlicher Innenminister Dobrindt als Ergebnis der Absprache verkündet: Wir verhandeln mit den Nachbarn Modellprojekte in Drittstaaten?

Der Enthusiasmus für Drittstaatsmodelle kontrastiert schon immer mit diplomatischen, konzeptuellen, rechtlichen und operativen Stolpersteinen. Dennoch erfüllen sie einen politischen Zweck. Ganz ähnlich wie Zurückweisungen sind Drittstaatsmodelle ein perfektes „Kontrollsignal“. Die Politik kauft sich Zeit. Eben diese müssen Deutschland und die EU sodann nutzen: europäisch für eine konsequente GEAS-Umsetzung, die ungeachtet aller Defizite einiges verbessert, und national für nachhaltige Korrekturen beim Vollzug und den langen Gerichtsverfahren.

Ob diese Rechnung aufgeht, zeigt sich bei den Bundestags- und Europawahlen 2029. Wenn nationale und europäische Reformen bis dahin die Mischung aus „Humanität und Ordnung“ leisten, die alle Parteien der Mitte versprechen, werden künftige Wahlkämpfe nicht mehr vom Asylthema dominiert. Falls das nicht gelingt, dürfte eine Grundsatzdebatte unausweichlich sein, die der BAMF-Präsident und Polen bereits einfordern. An versteckter Stelle akzeptiert das sogar der Koalitionsvertrag. Die GEAS-Reform soll „weiterentwickelt“ werden, allerdings bleibt das Grundrecht auf Asyl „unangetastet“. Wir werden erfahren, ob und wie beides zusammenpasst.

Abschiebungen: die Mühen der Ebene

Bis zum Wahljahr 2029 wird noch manche asylpolitische Aufregung diskutiert werden. Man kann nur hoffen, dass dies die schwarz-rote Regierung nicht davon abhält, die Mühen der Ebene mit all ihren kleinen Rädern anzugehen. Das betrifft vor allem Abschiebungen, denn eine „Rückführungsoffensive“ ist leichter versprochen als umgesetzt.

Der Koalitionsvertrag plädiert für ein Bündel verschiedener kleinerer Maßnahmen: kein kostenloser Rechtsbeistand bei der Abschiebungshaft, mehr Befugnisse für die Bundespolizei, eine Neustrukturierung der Ausweisungsregeln (die Politik missversteht diese häufig mit einer vollziehbaren Ausreisepflicht) oder eine effektive Anwendung der AsylbLG-Anspruchseinschränkungen. Letzteres klingt härter als es ist, denn damit verzichtet die Union auf gesetzliche Leistungskürzungen.

Mehr Migrationsabkommen mit Herkunftsländern sind ein SPD-Projekt, das CDU und CSU umsetzen werden. Dabei könnte die Regierung endlich mit einer Stimme sprechen, wenn Kanzleramt, Auswärtiges Amt und Innenministerium in den Händen derselben Parteienfamilie sind. Für einen Erfolg muss die Regierung endlich die Erwerbsmigration strategisch einsetzen und sich europäisch absprechen. Kombinierte europäische und nationale Anreize und Sanktionen erlauben ausbalancierte Paketlösungen, die beweisen, dass „Deals“ mit Herkunfts- und Transitländern nichts Schmutziges sein müssen. Das gilt auch für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Versprochen ist leicht viel, letztlich zählt der Praxistest.

Nicht nur bei Leistungskürzungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige obsiegte die SPD. CDU und CSU wollten Bleiberechte einschränken – und stimmten für deren Ausweitung. Dabei darf man sich nicht auf die restriktive Verlängerung des Chancen-Aufenthaltsrechts fokussieren. Daneben gibt es weitere Bleiberechte, die praktisch wirken. 2023 durften 26.000 Menschen bleiben, weitere 53.000 profitierten vom Chancen-Aufenthaltsrecht (hier, S. 10, 13, 25 f., 40). Seit Jahren ist das so (hier, S. 3-5). In der Debatte geht das leicht unter. Es gibt weniger Abschiebungen als Bleiberechte für Personen, die nicht mehr hier lebten, wenn sie die gesetzliche Ausreisepflicht beachtet hätten oder abgeschoben worden wären.

Faire, schnelle und finale Verfahren ohne Amtsermittlung?

Die vielleicht größte Überraschung findet sich in Zeile 3091: „Aus dem ‚Amtsermittlungsgrundsatz‘ muss im Asylrecht der ‚Beibringungsgrundsatz‘ werden.“ Wer den Unterschied schon im Jurastudium nicht verstand: Wikipedia erklärt diesen halbwegs verständlich. Die ersten Reaktionen kennzeichnete ein Abwehrreflex. Die Forschung verhält sich frei nach dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“, es muss also richtig sein. Dabei verfahren so einige Nachbarländer seit Jahrzehnten: zumindest Italien, Spanien, Polen und wohl auch die Niederlande (hier, Kap. 2).

Diese Tradition anderer EU-Staaten ist ein Grund, warum eine ausgefeilte EGMR-Rechtsprechung zu der Frage besteht, welche Infos die Behörden und Gerichte ex officio berücksichtigen müssen (hier, Rn. 119-127). Der Teufel steckt dabei im Detail: So darf man ein Urteil zu Beweismaß bzw. –standards nicht mit einer Aussage zur Beweislast verwechseln (hier, Rn. 54-57). Nichtsdestotrotz ließe sich der Beibringungsgrundsatz im Asylverfahren nicht in Reinform umsetzen. Es ginge allenfalls ein „Mischmodell“, dessen praktischer Mehrwert unklar bleibt, weil speziell das individuelle Verfolgungsschicksal schon heute letztlich nur durch den individuellen Parteivortrag in das Verfahren bzw. die Verhandlung eingebracht werden kann.

Allerdings spricht der Vertrag vom „Asylrecht“ und nicht dem „Asylverfahren“. Nun gibt es im Asylrecht zahlreiche sonstige Prüfpflichten, bei denen eine Umstellung mehr bewirken könnte als beim Asylverfahren vor BAMF und Gerichten. Das betrifft z.B. die erwähnte Einschränkung der Bewegungsfreiheit in künftigen Dublin-Zentren. Jenseits des eigentlichen Asylverfahrens könnten die Effizienzgewinne größer sein.

In der Sache reagiert die Politik damit auf die Frustration, dass speziell die Verwaltungsgerichtsverfahren sich hinziehen. Ungeachtet aller Anstrengungen kam ein Urteil zuletzt erst nach langen 17 Monaten (hier, S. 17 f.); zuvor dauerten das Asylverfahren bereits neun Monate (hier, S. 3). Eine Abschiebung ist so erst nach zwei Jahren das erste Mal überhaupt möglich. Öffentlicher Protest ist dann vorprogrammiert und in der Praxis folgt die Legalisierung in Form des Bleiberechts häufig schnell.

So dürfte die Passage vor allem eine politische Absichtserklärung sein, dass grundlegende Änderungen kein Tabu sind. Dabei mag manch andere Idee auf die Tagesordnung kommen: Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel eine Beschränkung des Rechtsschutzes auf Rechtsfragen, nebst einer Zurückweisung an das BAMF zur Neubescheidung, wenn die Gerichte ein Defizit feststellen. Im konkreten Fall verlangsamt ein erneuter BAMF-Bescheid das Verfahren, strukturell könnte man so das System möglicherweise jedoch stabilisieren, weil die Gerichte weniger prüfen.

Die auf den ersten Blick ominöse Forderung nach „Verwaltungsgerichten für Asylrechtstatsachen“ könnte im Sinn einer Einrichtung von Bundesgerichten umgesetzt werden, wie dies ein Hintergrundpapier aus dem Bundesministerium des Innern erwogen hatte. Diese Bundesgerichtsbarkeit könnte man anfangs auf bestimmte Themen, wie Dublin-Verfahren, konzentrieren. So erreichte man eine einheitlichere Sprachpraxis, was wiederum schnellere Gerichtsverfahren ermöglicht. Nichts davon geht über Nacht, das muss aber kein Gegenargument sein. Es bleibt also spannend: Prozessrechtsfreaks sollten sich dem Asylrecht widmen!

Zu guter Letzt: wenig Worte trotz großer Bedeutung

Das größte Defizit der deutschen Migrationsdebatte ist der Fokus auf das Asylrecht. Politisch ist das verständlich, allein klassische Einwanderungsländer machen es meistens anders herum. Australien und auch Kanada verfolgen eine restriktive Asylpolitik an den Grenzen und werben umso aktiver um Fachkräfte. Die Ampelkoalition brachte hier gesetzlich viel voran. Schwarz-rot hält daran fest – zum Glück (hier, Kap. 3).

Die Passage auf S. 14 konzentriert sich aus gutem Grund auf die Umsetzung. Auch bei der Erwerbsmigration ist administrativ zu viel Sand im Getriebe, weshalb Verfahrenseffizienz nottut. Vor dem großen Wurf schreckt die Regierung allerdings zurück. Es bleibt bei den vielen Behörden, die eine digitale „Work-and-Stay-Agentur“ als einheitliche Ansprechpartnerin verknüpfen soll. Das erlaubt eine schnelle Umsetzung, beseitigt aber nicht automatisch das Strukturproblem im Hintergrund.

Außerdem wird die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit festgeschrieben, obgleich man bezweifeln kann, ob diese die Verfahren unnötig lähmt. Deshalb könnte man die BA-Zustimmung nur für geringere Gehälter obligatorisch vorschreiben. So stünde deren fortgesetzte Beteiligung effizienten Verfahren nicht entgegen. Dem Einwanderungsland Deutschland kann man nur wünschen, dass das gelingt. Bisher funktioniert die Steuerung viel zu schlecht: im Asylsystem und bei den Fachkräften.

 

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