Kritik und Reform des Jurastudiums – Verfassungsblog – Go Well being Professional

Als die Justizminister*innen sich im Juni anlässlich der 95. Justizministerkonferenz (JuMiKo) in Hannover trafen, ging es auch um das Jurastudium. Draußen demonstrierten Studierende für eine verbesserte Ausbildung. Drinnen stellte man sich taub. Die deutschen Justizminister*innen konstatierten knapp, „dass die volljuristische Ausbildung sich bewährt hat und insgesamt intestine geeignet ist, den Absolventinnen und Absolventen das notwendige Fachwissen und die wesentlichen Kompetenzen zu vermitteln, die für eine Tätigkeit in den volljuristischen Berufen erforderlich sind und auch künftig erforderlich sein werden. Sie sind sich einig, dass grundlegender Reformbedarf nicht besteht“ (JuMiKo, Beschluss Juni 2024, TOP I.4 Ziff. 2). Immerhin wurde ein Bericht des Ausschusses zur Koordinierung der Juristenausbildung zur Kenntnis genommen, der einige „Denkanstöße“ bereit halte, über die sich nachzudenken lohne – darunter die Forderung nach mehr IT-Kompetenzvermittlung, Beratungsangeboten bei Stress, aber auch die Forderung nach einer anspruchsvolleren Zwischenprüfung.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Offenbar geben die Konsensstrukturen der JuMiKo nicht mehr her als diesen kleinsten gemeinsamen Nenner. Das, man kann es nicht anders sagen, ist einfach zu wenig, um das Jurastudium attraktiver zu machen und auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten.

Die Rechtswissenschaft steht vor zahlreichen Herausforderungen: Ob dies die Resilienz gegen rechts oder die sozial-ökologische Transformation zur Bekämpfung des Klimawandels beziehungsweise die notgedrungene Anpassung an seine Folgen betrifft. Klar ist, dass die (deutsche) Rechtswissenschaft und damit auch die Rechtswissenschaftler*innen sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit zahlreichen neuen Fragestellungen beschäftigen (müssen). Während die Debatten auch hier auf dem Verfassungsblog zeigen, in welcher Diversität sich die Disziplin bereits heute mit einigen dieser Fragestellungen befasst, bleibt doch ein Thema unterbelichtet: ein ganzheitlicher Blick auf die Rolle der juristischen Ausbildung.

Veränderungsbedarf

Dass die gegenwärtige juristische Ausbildung reformbedürftig ist, trifft auf immer breiter werdende Zustimmung bei unterschiedlichen sogenannten „Stakeholder*innen“. Schwieriger zu beantworten ist hingegen die Frage nach dem konkreten Veränderungsbedarf, wie nicht zuletzt die Ergebnisse der Umfrage von iur.reform zeigen. Zahlreiche Initiativen und Projekte kritisieren im Kleinen und im Großen seit geraumer Zeit die Struktur der juristischen Ausbildung. Im „Kleinen“ konzentrieren sie sich auf einzelne Forderungen wie eine Verbesserung der Prüfungsbedingungen in mündlichen Prüfungen durch die Besetzung von Prüfungskommissionen mit mindestens einer Frau oder die inhaltliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit im Studium. Größer angelegte Projekte wie iur.reform schlagen ein Sofortprogramm mit konkreten Änderungswünschen vor, das viele verschiedene Teilbereiche abdeckt. Wenig Raum bleibt dabei bisher für die Diskussion von richtungsweisenden Fragestellungen über die Verortung des Jurastudiums im größeren gesellschaftlichen Kontext.

Das Symposium verfolgt das Ziel, die Kritiken zu ausgewählten Themenbereichen (aus der antirassistischen, feministischen oder soziologischen Perspektive) exemplarisch darzustellen. Es benennt besonders eklatante Diskrepanzen und verdeutlicht erneut die Beharrungskräfte, die eine ernsthafte Reform der juristischen Ausbildung erschweren. Es verfolgt insoweit einen systemischen Ansatz, dass es die einzelnen Kritiken zusammenführt, marginalisierte Perspektiven sichtbarer macht und neben kleineren, „technischen“ Änderungsvorschlägen auch ganzheitlicheren Perspektiven Raum bietet.

Ziel ist zudem, die derzeit vor allem juristisch-immanente Diskussion interdisziplinär zu öffnen. Gerade die interdisziplinäre Perspektive entlarvt vermeintliche juristische Alleinstellungsmerkmale der Staatsexamensausbildung als überkommene Borniertheiten. Wenn sich die Jurisprudenz nicht länger den Erkenntnissen beispielsweise der Pädagogik, der Soziologie und der Psychologie verschlösse, ließe sich auf Augenhöhe mit der interdisziplinären Didaktik- und Bildungsforschung über Studien- und Prüfungsbedingungen diskutieren. Was naheliegend klingt, bedarf in der praktischen Umsetzung einer ernsthaften, ergebnisoffenen Einbindung der Nachbardisziplinen.

Experimentierklausel

Vor dem Hintergrund, dass sich die Konsensstrukturen der JuMiKo für eine Reform als dysfunktional erweisen, sollte der (Bundes-)Gesetzgeber an die Wiederaufnahme einer Experimentierklausel denken. Zurzeit bilden die – bis auf die Regelung von Praktikumszeiten überwiegend inhaltlichen – Vorgaben des bundesrechtlichen § 5a DRiG und die jeweiligen Ausbildungsgesetze der Länder die Grundlage der universitären Ausbildung. Das Landesrecht regelt laut § 5a Abs. 4 DRiG „das Nähere“, allerdings mit nur wenig Spielraum für grundlegend Neues.

Die damalige Experimentierklausel des § 5b DRiG erlaubte es 1971 den Ländern, eine einstufige Ausbildung einzuführen. Es wurden Studiengänge wie Sozialwissenschaften, Ökonomie und Jura in den ersten Semestern zusammengefasst und statt des Staatsexamens mit Klausuren musste eine wissenschaftliche Arbeit verteidigt werden. Eine Neuauflage der Klausel, die den Ländern den notwendigen didaktischen und prüfungsrechtlichen Freiraum einräumt, könnte Anreize für revolutionary Reformen schaffen. Im Wettbewerb um die besten Ausbildungsbedingungen ließe sich so vielleicht der dringend benötigte, selbständig denkende Nachwuchs wieder für das Jurastudium begeistern.

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