Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – Verfassungsblog – Go Health Pro

Die Schulpflicht als Element der Teilhabedimension des „neuen Grundrechts auf schulische Bildung“

Im September begann das neue Schuljahr auch in den letzten Bundesländern, ein altes Problem des deutschen Schulrechts aber bleibt bestehen: der Zugang geflüchteter Minderjähriger zum Regelschulsystem. So bemängelte der Kinderschutzbund Landesverband Sachsen e.V. zum Start des Schuljahres 2024/2025, dass in Sachsen mehr als 1600 schutzsuchende Minderjährige auf einen Schulplatz warten. Grund hierfür ist deren Exklusion von der Schulpflicht im sächsischen Schulgesetz. Dabei stellt Sachsen nicht die Ausnahme, sondern den Regelfall in Deutschland dar. Zwar normieren alle landesrechtlichen Schulgesetze eine verbindliche Schulpflicht für deutsche und ausländische Kinder. Diese gilt aber in vielen Bundesländern nicht auf gleiche Weise für geflüchtete Kinder. Die Schulpflicht für geflüchtete Kinder setzt aufgrund landesrechtlicher Regelungen zeitlich häufig erst später ein. Infolgedessen verlieren die Kinder unwiederbringbar wertvolle (Schul-)Zeit für ihre Entwicklung und Bildung. Diese Ungleichbehandlung gegenüber den anderen schulpflichtigen Kindern stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das „Recht auf schulische Bildung“ geflüchteter Kinder dar.

Kritik der Beschränkung des Regelschulzugangs asylsuchender Kinder durch den UN-Kinderrechtsausschuss

Die landesrechtlich unterschiedlich ausgestalteten Beschränkungen des Zugangs zum Regelschulsystem von asylsuchenden Minderjährigen finden nicht nur in rechtswissenschaftlichen Analysen oder der medialen Debatte Beachtung (hier, hier und hier), sondern rückten auch jüngst in den Fokus des UN-Kinderrechtsausschusses.

In seinen abschließenden Bemerkungen zum Staatenbericht 2022 zeigte sich der Ausschuss zunächst mit Blick auf Bildungsfragen, für die das in Art. 28 UN-Kinderrechtskonvention verankerte Recht auf Bildung eine zentrale Stellung einnimmt, „besorgt“ bzgl. der Ungleichheiten in einzelnen Bundesländern beim Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung bei Kindern aus benachteiligten Gruppen (Rn. 35 lit. a).

Folgerichtig empfahl der UN-Kinderrechtsausschuss daher der Bundesrepublik Deutschland eine Stärkung des „gleichberechtigten Zugangs“ für Kinder aus benachteiligten Gruppen, einschließlich asylsuchender Kinder (Rn. 36 lit. a).

Auch im Rahmen der Diskussion über „besondere Schutzmaßnahmen“ für asylsuchende Kinder, Flüchtlings- und Migrantenkinder i.R. des Art. 22 UN-Kinderrechtskonvention empfahl der Ausschuss ausdrücklich die Sicherstellung eines raschen Zugangs zur Bildung im regulären Schulsystem für Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen (Rn. 39 lit. b und lit.d, Rn. 40 lit. g).

Neue Wege des Bundesverfassungsgerichts im Bildungsrecht

Maßgebende Bedeutung für die Bewertung der verfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von der Schulpflicht nimmt das bahnbrechende Urteil „Bundesnotbremse II“ des Bundesverfassungsgerichts vom November 2021 ein. Mit der Entscheidung zu den Schulschließungen während der Covid-19-Pandemie etablierte das Gericht ein „Grundrecht auf schulische Bildung“ auf Grundlage der Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG als subjektives Gegenstück zum staatlichen Schulauftrag (vgl. Leitsätze 1 und 2, sowie Rn. 42 ff., s. dazu hier, hier und hier). Dieser verfassungsrechtliche Meilenstein für die Kinderrechte ermöglicht eine neue Perspektive auf das schon seit längerer Zeit diskutierte Problem des Zugangs von asylsuchenden Minderjährigen zum Regelschulsystem. Dabei stellt das rechtliche Verständnis der Schulpflicht den Dreh- und Angelpunkt der verfassungsrechtlichen Einordnung dar. Denn die Schulpflicht spielt eine zentrale Rolle für die Realisierung der Schulbildung. Sie sichert faktisch und rechtlich den Schulzugang von Kindern in Fällen, in denen die Eltern „unwillig oder unfähig“ sind, den Schulbesuch ihrer minderjährigen Kinder zu organisieren und die Kinder ihn auch selbst nicht einfordern können. Der Ausschluss von der Schulpflicht ist daher auch der zentrale Grund für die Verzögerung der Einbeziehung der betroffenen Kinder in die Regelschule.

Da die Schulpflicht das wohl effektivste staatliche Instrument zur Sicherstellung des Schulzugangs asylsuchender Kinder ist, stellt sich die Frage, ob sie nicht als Teil des Gewährleistungsbereichs des „neuen Grundrechts auf Bildung“ verstanden werden muss.

Schulpflicht als Teil des „neuen Grundrechts auf schulische Bildung“ – ein vom Bundesverfassungsgericht bisher ungelöstes Problem

Der Schutzbereich des Grundrechts auf Bildung umfasst eine Leistungs-, eine Teilhabe- und eine Abwehrdimension (Leitsatz 2a-c, Rn. 51 ff.). Um in den Schutzbereich des Grundrechts auf schulische Bildung zu fallen, muss die Schulpflicht eine dieser Dimensionen zugeordnet werden können.

Die Leistungsdimension gewährleistet den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf einen – für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren – Mindeststandard von Bildungsangeboten, verbürgt jedoch keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung staatlicher Schulen (Leitsatz 2a, Rn. 52 ff.). Alle Landesschulgesetzgeber haben sich für eine einfachgesetzliche Normierung der Schulpflicht entschieden, die so das deutsche Schulsystem maßgeblich mitstrukturiert. Zwar leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem „Grundrecht auf Bildung“ einen Anspruch von Schüler*innen auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit unverzichtbaren Mindeststandards ab (Rn. 57). Da die Schulpflicht aber in allen Bundesländern gesetzlich etabliert ist, bleibt der Weg der gerichtlichen Durchsetzung der Schulpflicht über den „unverzichtbaren Mindeststandard“ versperrt.

Demgegenüber umfasst die Abwehrdimension ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, welche das aktuell eröffnete und auch wahrgenommene Bildungsangebot einer Schule einschränken, ohne das in Ausgestaltung des Art. 7 Abs. 1 GG geschaffene Schulsystem als solches zu verändern (Leitsatz 2c, Rn. 61 ff.). Da die Schulpflicht aber gerade eine allgemeine Maßnahme zur Ausgestaltung des Schulsystems und keine das konkrete Bildungsangebot einschränkende Maßnahme darstellt, wird sie auch von der Abwehrdimension nicht erfasst.

Vor diesem Hintergrund kommt der Teilhabedimension des „Grundrechts auf Bildung“ entscheidende Bedeutung zu. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass das Recht auf gleichen Zugang zu schulischer Bildung derivativer Natur ist. Es bestehe „nur nach Maßgabe der vom Staat […] zur Verfügung gestellten Bildungsgänge und Schulstrukturen sowie der Voraussetzungen, die er für den Zugang zur Schule […] festgelegt hat“ (Rn. 60). Das „Recht auf schulische Bildung“ sei in seiner teilhaberechtlichen Funktion verletzt, wenn diese Zugangsvoraussetzungen willkürlich oder diskriminierend ausgestaltet oder angewendet werden (Rn. 60).

Mit der Begründung, dass die Schulpflicht jeweils durch die Länder normiert sei, verzichtete das Gericht auf eine Einordnung der Schulpflicht als Teil der teilhaberechtlichen Gewährleistungsdimension. In der Entscheidung stand daher nicht das „Recht auf Zugang zu staatlichen Schulen überhaupt“, sondern der „Zugang zu bestimmten Bildungsangeboten“ im Mittelpunkt (Rn. 58).

Diese Argumentation greift aber häufig nicht für asylsuchende Kinder, da die landesrechtlichen Regelungen teils erhebliche Unterschiede für das zeitliche Einsetzen der entsprechenden Schulpflicht normieren. Es geht in diesen Fällen also sehr wohl auch um den Zugang zu staatlichen Schulen überhaupt.

Inwiefern die Schulpflicht bzw. ein auf die Einbeziehung in die Schulpflicht bezogener rechtlicher Anspruch asylsuchender Kinder als Teil der Teilhabedimension zu werten ist, stellt in diesem Zusammenhang ein ungelöstes rechtliches Problem dar.

Tradiertes Verständnis der Schulpflicht: „Bloßer“ Eingriff in die Grundrechte

Traditionell wird die Schulpflicht als Eingriff in Grundrechte der Eltern (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und der Schüler*innen (Art. 2 Abs. 1 GG) gewertet. Dieser Eingriff rechtfertigt sich aus der Zuständigkeit des Staates für das Schulwesen aus Art. 7 Abs. 1 GG. Mit der Schulpflicht als Instrument der staatlichen Schulaufsicht verbindet sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das „[legitime] Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags“.1) Die Schulpflicht setzt also den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag voraus und rechtfertigt sich durch ihn.

Differenzierung von Schulpflicht und Schulzugangsrecht: Keine Gleichwertigkeit der Instrumente hinsichtlich ihrer Effektivität

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Differenzierung von Schulpflicht und Schulzugangsrecht, die in vielen landesgesetzlichen Regelungen Eingang gefunden hat. Da die Schulpflicht üblicherweise mit der Ausübung des Schulzugangsrechts zusammenfällt, besteht für Kinder im schulpflichtigen Alter grundsätzlich kein rechtlich relevantes Spannungsverhältnis.

Der entscheidende Unterschied zwischen „normal-schulpflichtigen“ deutschen oder ausländischen Kindern gegenüber asylsuchenden Kindern ist, dass letztere mit Ausnahme von  fünf Bundesländern (Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland, Schleswig-Holstein) nicht pauschal und unverzüglich der Schulpflicht unterfallen: Dies ist auf temporale Ausnahmeregelungen zurückzuführen, die häufig auf einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ im Bundesland abstellen (vgl. etwa § 72 Abs. 1 S. 1 SchG BaWü). Der „gewöhnliche Aufenthalt“ im schulrechtlichen Sinne beginnt nach der Rechtsprechung aber in der Regel erst, wenn eine Beschulung des Kindes für einen „sinnvollen Zeitraum“ möglich erscheint.2) In der Folge fallen Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen durch das „Schulpflichtraster“. Nach § 47 Abs. 1 AsylG beträgt die Höchstaufenthaltsdauer von Minderjährigen in Erstaufnahmeeinrichtungen 6 Monate, nach § 47 Abs. 1b AsylG n.F. i.V.m. Landesrecht sogar bis zu 24 Monate.

Teilweise werden asylsuchende Kinder auch ausdrücklich durch Verwaltungsvorschriften aus der Schulpflicht ausgenommen, wenn sie noch keiner Gebietskörperschaft zugewiesen wurden (vgl. § 46 Abs. 1 Hs. 2 VOGSV Hessen). Zwar besteht teilweise ein Schulzugangsrecht ab dem ersten Tag (vgl. § 46 Abs. 3 VOGSV Hessen), allerdings ist es zweifelhaft, ob dies den Schulzugang ebenso effektiv ermöglicht wie die Schulpflicht. Denn das Schulzugangsrecht wird wohl in den seltensten Fällen von Kindern selbst gegenüber der Verwaltung eingefordert werden können.

Die Realisierung des Zugangsrechts hängt bei einer verzögerten Schulpflicht dann von einer ausdrücklichen Willensäußerung und den administrativ-organisatorischen Fähigkeiten der Eltern oder deren Unterstützer*innen ab. Gerade in geflüchteten Familien leiden Eltern allerdings nicht selten unter schwer belastenden Erlebnissen und psychischen Störungen, die ein rasches Tätigwerden zugunsten des Kindes erschweren. Hinzu kommen Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache und dem fremden Bildungssystem, die eine effektive Wahrnehmung des Schulzugangsrechts behindern.

In Bayern (aber auch in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) besteht das Schulzugangsrecht sogar generell erst mit dem Einsetzen der (zeitlich verzögerten) Schulpflicht (vgl. Art. 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BayEUG).

Unterfällt die Schulpflicht der Teilhabedimension des „Grundrechts auf schulische Bildung“?

Angesichts der landes- und verfassungsrechtlichen „Großwetterlage“ ist es erstaunlich, dass die Frage, ob die Schulpflicht in den Gewährleistungsbereich des Rechts auf schulische Bildung fällt, nicht deutlich stärker im Zentrum verfassungsrechtlicher Debatten steht.

Eine Einbeziehung der Schulplicht in die Teilhabedimension des „Grundrechts auf schulische Bildung“ scheidet aus, wenn man die Schulpflicht rechtsdogmatisch lediglich als einen mit staatlichen Zwangsmitteln durchsetzbaren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Kinder und ihrer Eltern wertet. Demnach stellt der Ausschluss von der Schulpflicht gerade eine freiheitserhaltende Maßnahme dar.

Eine rechtsdogmatisch andere Perspektive eröffnet sich jedoch, wenn man die Schulpflicht nicht nur als Eingriff in die Grundrechte begreift. Die Schulpflicht spielt in „Grenzfällen“, in denen die Eltern und Kinder „unwillig oder unfähig“ sind, das Schulzugangsrecht einzufordern, eine Schlüsselrolle für die Realisierung des „Grundrechts auf schulische Bildung“. Sie beinhaltet also auch eine grundrechtsfördernde Komponente. Wenn der Staat einfachgesetzlich eine Schulpflicht normiert, sollten alle Kinder im schulpflichtigen Alter von ihr erfasst sein.

Für diese Interpretation spricht Art. 28 Abs. 1 lit. a KRK. Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den „Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht“ zu machen, „um die Verwirklichung [des Rechts auf Bildung] auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen“. Hinzutritt der Vorrang des Kindeswohls (Art. 3 KRK). Denn der Schulbesuch nimmt eine herausragende Bedeutung in der Entwicklung von Minderjährigen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der sozialen Gemeinschaft3) sowie für ihre Integration4) ein und ist daher essentiell für das Kindeswohl. Das Bundesverfassungsgericht betonte den Einklang des „Grundrechts auf schulische Bildung“ mit der völkerrechtlichen Gewährleistung des „Rechts auf Bildung“ ausdrücklich,5) so dass die völkerrechtlich induzierte Argumentationslinie an inhaltlicher Schärfe gewinnt.

Es erscheint daher vorzugswürdig, die Schulpflicht nicht nur als Ausgestaltung des Schulsystems, sondern auch als ein das „Recht auf Bildung“ effektivierendes Instrument zu werten.

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung: (Begrenzte) Spielräume des Landesgesetzgebers

Akzeptiert man diese Bewertung, lässt sich eine Ungleichbehandlung einfach feststellen: jede landesrechtliche Regelung, die asylsuchende Minderjährige (wie z.B. Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen) von der Schulpflicht ausschließt, stellt eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem dar. Denn Anknüpfungspunkt für die Ungleichbehandlung ist allein der Aufenthaltsstatus.

Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung kommt durch die Verwirklichung anderer, höherrangiger Grundrechte oder Verfassungsprinzipien in Betracht. In der „Landkarte Kinderrechte“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte aus dem Jahr 2019 führten Bundesländer verschiedene Gründe für das temporal verzögerte Einsetzen der Schulpflicht an. Genannt wurden dabei die „Vermeidung von Schulwechseln“, die „Klärung des Aufenthaltsortes“, die „Überlastung der Kommunen“, das „Wohl der Schulgemeinschaft in den einzelnen Kommunen“ sowie das „Kindeswohl“ von traumatisierten Minderjährigen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass es sich bei all den genannten Gründen um legitime Ziele handeln würde, für deren Erreichung der Ausschluss der Kinder aus der Schulpflicht geeignet ist, müsste der pauschale Ausschluss einer ganzen Personengruppe auch das mildeste geeignete Mittel sein. Zeitlich begrenzte „Opt-out-Regelungen“ für einzelne psychisch schwer traumatisierte Kinder erreichen jedenfalls das Ziel des „Kindeswohls“ mit einem milderen, gleich geeigneten Mittel. Hier könnte u.U. auf die landesrechtlichen Regelungen zum Ruhen der Schulpflicht zurückgegriffen werden (vgl. etwa § 29 SächsSchulG).

Die Prüfung der Angemessenheit hat die Nähe der Ungleichbehandlung zu Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu beachten, da das Differenzierungsmerkmal des Aufenthaltsstatus vom Einzelnen nicht durch eigenes Verhalten beeinflusst werden kann. Sie unterliegt daher strengeren Anforderungen.6) Ungleichbehandlung und die rechtfertigenden Gründe stehen jedenfalls bei einem längerfristigen Ausschluss von der Schulpflicht in keinem angemessenen Verhältnis zueinander. Die durch den Ausschluss eines Kindes von der Schulpflicht verlorene Zeit lässt sich nicht ausgleichen. Gerade die Regelschule legt wichtige Grundlagen für die Entwicklung der Kinder zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der sozialen Gemeinschaft. Kinder für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten von der Schule auszuschließen, hindert außerdem deren Integration im Falle eines positiven Aufenthaltsbescheids erheblich. Für diese Wertung sprechen auch Art. 3 KRK und Art. 28 Abs. 1 lit. a KRK. Hinzutritt Art. 16 Abs. 2 S. 1 EU-Aufnahmerichtlinie, der die Mitgliedsstaaten verpflichtet, geflüchteten Kindern den Zugang zum Schulsystem innerhalb von zwei Monaten nach Antragsstellung (auf internationalen Schutz) zu ermöglichen. Zwei Monate bilden angesichts der Bedeutung der Schulpflicht für das „Recht auf schulische Bildung“ sowie der völker- und unionsrechtlichen Vorgaben den maximalen Rahmen eines gruppenbezogenen Schulpflichtausschlusses. Eine längere Ausschlussfrist beeinträchtigt das „Recht auf schulische Bildung“ unangemessen. Eine Überschreitung dieses Spielraums durch die Landesschulgesetzgeber stellt daher eine Grundrechtsverletzung dar.

Fazit: Die Schulpflicht muss für alle gelten!

Durch die einfachgesetzliche Etablierung der Schulpflicht gestaltet der Staat das Schulsystem. Die von der Schulpflicht ausgeschlossenen Kinder verfügen über einen derivativen Teilhabeanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) auf Einbeziehung in diese. Begreift man die Schulplicht als Teil der Teilhabedimension des „Grundrechts auf schulische Bildung“, dann führen die landesrechtlichen Regelungen, die asylsuchende Kinder von der Schulpflicht ausschließen, zu einem Grundrechtseingriff: Kinder in schulpflichtigem Alter (als vergleichbare Gruppe) werden ungleich behandelt.

Der Gesetzgeber verfügt zwar über Möglichkeiten, die Schulpflicht für bestimmte Gruppen auszusetzen. Dabei hat er jedoch neben dem „Recht auf schulische Bildung“ die Vorgaben der Kinderrechtskonvention und des Unionsrechts angemessen zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund kann ein pauschaler Ausschluss von der Schulpflicht von über zwei Monaten nicht gerechtfertigt werden.

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