Warum die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihr Konzept für das Kanzlerduell überdenken müssen
Fünf Kanzlerkandidat*innen – aber nur zwei Tickets für eine TV-Debatte. Die politische Bühne scheint derzeit nicht genug Kapazitäten für eine erweiterte Gästeliste zu haben. Dabei spielen bei Wahlkämpfen – neben den Küchen der Wahlberechtigten – traditionellerweise auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) eine zentrale Rolle.
Hieraus ergeben sich mehrere Probleme, die dieses Jahr noch auf Karlsruhe zukommen könnten: Mit der AfD und den Grünen wurden zwei Parteien vom Duell ausgeschlossen, die in den aktuellen Umfragen mindestens ebenso gut, wenn nicht sogar besser als die Sozialdemokraten abschneiden. Der Ausschluss von dieser traditionell besonders publikumswirksamen Sendung kann die Chancen jener Spitzenkandidat*innen im Parteienwettbewerb unter Umständen nachhaltig verschlechtern. Denn dadurch könnte bei der Wählerschaft der Eindruck entstehen, AfD und Grüne hätten von vornherein keine realistische Aussicht, in das Kanzleramt einzuziehen.
Die AfD hat nach Bekanntwerden des Debattenformats bereits angekündigt, rechtliche Schritte gegen die ÖRR einzuleiten. Die Erfolgsaussichten eines entsprechenden (Eil)Verfahrens sind dabei günstig.
Mehr als Duelle
Für den diesjährigen Wahlkampf haben die ÖRR ein Gesamtkonzept vorbereitet, in dem die Spitzenpolitiker*innen bei vier Gelegenheiten die Möglichkeit haben sollen, sich zu präsentieren.
Im ersten TV-Duell sollen jene Spitzenpolitiker*innen einander gegenübergestellt und befragt werden, die bei der letzten Wahl die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten und derzeit nach den Umfragen vorne liegen – konkret sollen sich somit Olaf Scholz und Friedrich Merz duellieren. Die ÖRR teilt zur Begründung für diese Anforderungen mit, dass eine Auseinandersetzung mit allen Kanzlerkandidat*innen nicht sinnvoll wäre, da „in der begrenzten Zeit einer Sendung nicht die ausreichende inhaltliche Tiefe gewährleistet [werden kann].“
In einer zweiten Runde sollte Robert Habeck auf Alice Weidel treffen – ohne Begründung dafür, warum ausgerechnet jene zwei Kandidat*innen. Beide TV-Duelle stellen laut Angaben der ÖRR keine Kanzlerduelle dar.
Außerdem finden am 13. Februar 2025 („Klartext“) sowie am 17. Februar 2025 („Wahlarena“) zwei Formate statt, bei denen die Spitzenkandidat*innen von AfD, Grünen, SPD und CDU/CSU eingeladen sind und sich den Fragen von Bürger*innen stellen.
Die rechtlichen Vorgaben
Anders als bei privaten Fernsehformaten steht es den ÖRR nicht frei, welche Personen sie zu TV-Debatten einladen. Die redaktionelle Entscheidungsfreiheit der ÖRR (als Ausfluss der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) muss dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) im Wahlkampf hinreichend Rechnung tragen.
Das Gebot der Chancengleichheit verlangt jedoch nicht die formale Gleichbehandlung aller Parteien. Die ÖRR dürfen bei der Gestaltung ihrer Programme nach den politischen Kräfteverhältnissen differenzieren („abgestufte Chancengleichheit“, Rn. 59 ff.).
Unter anderem aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2002 das Teilnahmeersuchen des damaligen Kanzlerkandidaten der FDP, Guido Westerwelle, abgelehnt. Die Leitentscheidung stellte klar, dass die Rundfunkfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet ist und verlangte von den ÖRR, ein journalistisch schlüssiges Konzept zu errichten (Rn. 6). Die Teilnahme von Westerwelle schied unter anderem deshalb aus, weil er – unbestritten – keine realistische Aussicht darauf hatte, nach der Bundestagswahl 2002 das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen. Dieses Erfordernis stellte jedoch das damalige Konzept der ÖRR auf.
Mit diesen – hier verkürzt dargestellten – Maßstäben soll verhindert werden, dass die Parteien in Zusammenarbeit mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Sendungsformate konstruieren und damit die Erfolgschancen der anderen Parteien effektiv verringern können. Abstrakt gilt daher, dass Parteien jedenfalls nicht ohne sachlichen Grund aus einem Konzept ausgeschlossen werden dürfen. Das wirft die Frage auf: Stellt das geplante Duell zwischen Merz und Scholz ein solches „schlüssiges journalistisches Konzept“ dar?
Aus den Teilnahmebedingungen des ersten TV-Duells lassen sich drei Kriterien ableiten, die für eine Einladung zum Duell am 9. Februar 2025 erfüllt sein müssen: Demnach muss die Person kumulativ erstens Kanzlerkandidat und zweitens in einer Partei sein, die entweder aktuell die Umfragen anführt oder die vergangene Bundestagswahl gewonnen hat.
Dass Alice Weidel und Robert Habeck nach diesen Kriterien nicht eingeladen wurden, stellt aus zwei Gründen eine nicht nachvollziehbare Programmentscheidung der ÖRR dar: zum einen wegen der „Natur“ des Duells und zum anderen wegen der Zusammensetzung der Teilnahmeliste.
Das Duell, dessen Name nicht genannt werden darf
„Wir veranstalten kein Kanzler-Duell“ – deswegen heißt es diesmal schlicht: „Das Duell“. Worin dieser Unterschied bestehen soll, werden vermutlich auch die besten Jurist*innen nicht aufdecken können. Mit der verkürzten Bezeichnung geht aber keine rechtliche Unterscheidung einher. Das Wort „Duell“ ist im Rahmen des Wahlkampfs ein historisch gewachsener und dadurch auf einen bestimmten Sachverhalt geschichtlich eingeengter Begriff. Kein*e Zuschauer*in wird ernsthaft daran zweifeln, dass es darum geht, die Kanzlerkandidat*innen der Öffentlichkeit gegenüber zu präsentieren.
Die diesjährige Gästeliste
Traditionellerweise duellierten sich bei den ÖRR – bis auf das Wahljahr 2021 – auf Bundesebene ausschließlich die Unionsparteien mit der SPD. Das hing damit zusammen, dass historisch nur die Kandidat*innen der SPD und CDU/CSU für das Kanzleramt in Frage kamen. Deutschland ist jedoch weder das Vereinigte Königreich noch die USA. Sowohl Thüringen als auch Baden-Württemberg haben bereits bewiesen, dass das politische Parteienspektrum mehr als nur zwei Optionen kennt.
Dadurch werden Duelle als TV-Format nicht grundsätzlich unzulässig, sie bedürfen jedoch eines höheren Rechtfertigungsaufwands. Möchte man also im Jahr 2025 wieder ein Duell organisieren, in dem man nur die zwei Personen interviewt, die nach dem aktuellen Stand der Dinge eine Chance auf das Kanzleramt haben, dann sollten die bisherigen Kriterien überarbeitet werden, um der Wettbewerbslage gerecht zu werden.
Würde man – wie in der Vergangenheit – allein auf die derzeitigen Wahlprognosen abstellen, müssten die ÖRR nämlich konsequenterweise Merz und Weidel einladen. Dies tun die ÖRR jedoch nicht. Bei der Einladung von Scholz stellen sie stattdessen ausschließlich auf das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl ab. Gerichte betonen zwar regelmäßig, dass auch vergangene Wahlergebnisse bei der Zusammensetzung der Gästeliste Berücksichtigung finden dürfen. Allerdings darf dieser Umstand nicht alleine betrachtet werden, da ansonsten eine Wettbewerbslage droht, verewigt zu werden.
Genau das tun allerdings die ÖRR mit ihrer nicht nachvollziehbaren, isolierten Gewichtung der vergangenen Wahl. Indem für beide Kandidaten unterschiedliche zeitliche Perspektiven herangezogen werden, kommt es zu einer widersprüchlichen Logik: Die Kriterien für Scholz einerseits und Merz andererseits finden sich auf anderen Punkten der Zeitachse wieder, der jeweils andere historische Abschnitt wird ignoriert.
Auch mit einer Typisierungsperspektive lassen sich keine gravierenden Sachverhaltsunterschiede zwischen den Parteien erkennen. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, warum AfD und Grüne angesichts ihrer aktuellen Umfragewerte schlechtere Chancen auf den Einzug ins Kanzleramt haben sollten als die SPD. Damit ist kein sachlich gerechtfertigter Grund dafür ersichtlich, die diesjährige Kanzlerdebatte in einem Duellformat zu gestalten.
Diese gleichheitswidrige Entscheidung würde auch nicht damit gerettet, Habeck und Weidel ein eigenes Duell zu organisieren. Denn die Zusammensetzung der Duelle basiert auf einer nicht nachvollziehbaren Konzeption: Welche Gründe rechtfertigen ein Duellformat mit dem derzeitigen Erst- bzw. – je nach Umfrage – Viertplatzierten auf der einen Seite und ein Duellformat mit der Zweit- und dem Drittplatzierten auf der anderen Seite? Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es noch Formate wie „Wahlarena“ bzw. „Klartext“ geben soll, da diesen nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit zukommt. So erhielt z.B. die „Wahlarena“ im Jahr 2021 nicht einmal die Hälfte der Einschaltquoten des damaligen „Triells“.
Die Berücksichtigung aktueller Umfragewerte
Die ÖRR brauchen also neue Kriterien, um das diesjährige Kanzlerduell zu konzeptionieren. Diese müssen objektiv, transparent und nachvollziehbar gestaltet sein.
Als Ausgangspunkt sollten neben der vergangenen Bundestagswahl zusätzlich – trotz all ihrer Fehleranfälligkeit – die derzeitigen Wahlumfragen berücksichtigt werden. Dabei bietet es sich an, Spitzenpolitiker*innen einzuladen, deren Partei in den letzten drei Monaten „stabil“ 13 % bei den Wahlforschungsinstituten erlangt hat. Dagegen ließe sich zwar einwenden, dass die Festsetzung dieser Zahl wiederum willkürlich sei. Allerdings benötigen die ÖRR einen Richtwert, um die Sendung in praktischer Hinsicht gestalten zu können. Zudem rechtfertigen historische Ereignisse, die Zahl auf einen niedrigen zweistelligen Prozentbetrag festzusetzen: Noch im Sommer 2021 lag die SPD bei ungefähr 15 % in den Wahlprognosen und somit weit abgeschlagen auf Platz 3. Heute stellt sie den Kanzler.
Dieses Kriterium würde bedeuten, dass die ÖRR neben Robert Habeck auch Alice Weidel einladen müssten. Beide haben, zumindest auf dem Papier, realistische Chancen auf das Kanzleramt. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass die AfD zum Teil vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Solange sie nicht erfolgreich vom BVerfG verboten worden ist, müssen die ÖRR die AfD grundsätzlich wie jede andere Partei behandeln.
Ebenfalls unerheblich ist die Tatsache, dass alle im Bundestag vertretenen Fraktionen Koalitionsverhandlungen mit der AfD ausgeschlossen haben. Ein Mandat zur Führung von Koalitionsverhandlungen erhalten die Fraktionen erst nach der Wahl – nicht davor. Bloße Aussagen von Politiker*innen entfalten keine Bindungswirkung für mögliche, zuvor noch ausgeschlossene Sondierungsgespräche, wie die causa Österreich eindrucksvoll gezeigt hat.
Fazit
Das Duellformat zwischen SPD und CDU/CSU ist überholt. Das räumt nun auch Friedrich Merz ein. Die ÖRR sollten daher ihr Programm vom 9. Februar 2025 zeitnah konzeptionell überarbeiten, um einer möglichen gerichtlichen Niederlage zuvorzukommen. Sowohl die Grünen wie auch die AfD haben realistische Chancen auf den Einzug in das Kanzleramt. Das müssen die ÖRR entsprechend würdigen.
Unabhängig vom diesjährigen Wahlkampf sollten sich die ÖRR endgültig davon loslösen, dass Kanzlerkandidatendebatten Duelle darstellen müssen. Die Parteienlandschaft ist gewachsen, also muss auch die Gästeliste der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten länger werden. TV-Debatten funktionieren auch mit einer ganzen Farbpalette – nicht nur in Schwarz-Rot.