Der Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Letzte Woche schlug ein Bündnis aus 26 Verbänden und Organisationen einen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vor („Gesetzesentwurf“). Grundlage ist der Abschlussbericht, den die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin im April 2024 vorgelegt hat („Abschlussbericht“). Nach dem Gesetzesentwurf sollen Schwangerschaftsabbrüche bis einschließlich der abgeschlossenen 22. Woche nach der Empfängnis sowie bei medizinischer Indikation bis zum Beginn der Geburt rechtmäßig sein und einkommensunabhängig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Der Vorschlag orientiert sich an den grund- und menschenrechtlichen Maßstäben und eignet sich deshalb hervorragend als Diskussionsgrundlage für die weitere Reformdebatte, die sich politisch und gesellschaftlich in vollem Gange befindet.
Der komplizierte rechtliche Status quo
Wer gegenwärtig in Deutschland eine ungewollte Schwangerschaft beendet, sieht sich weiterhin mit Vorschriften im Strafgesetzbuch konfrontiert (§§ 218 ff. StGB). Grund sind die detaillierten Vorgaben aus der zweiten Schwangerschaftsabbruch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts („Schwangerschaftsabbruch II“), die der Gesetzgeber vor knapp dreißig Jahren übernahm. Danach muss eine ungewollt schwangere Person, die während den ersten zwölf Wochen einen Abbruch vornehmen lassen möchte, sich vorher beraten lassen und drei Tage mit dem Eingriff warten (§§ 218, 218a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, 219 StGB). Der Abbruch ist dann rechtswidrig, aber straffrei.
Weil es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, haben Betroffene die Kosten (je nach Methode etwa zwischen 300 und 700 Euro) nach dieser sogenannten Beratungsregelung – also in 96 Prozent der Fälle – grundsätzlich selbst zu tragen. Menschen mit geringem Einkommen haben einen Anspruch auf Kostenübernahme (§ 19 SchKG). Anders sieht die Rechtslage bei den nach wie vor bestehenden gesetzlichen Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch aus, wenn also medizinische Gründe bestehen (§ 218a Abs. 2 StGB) oder die Schwangerschaft auf eine Sexualstraftat zurückgeht (§ 218a Abs. 3 StGB). In diesen (wenigen) Fällen ist der Schwangerschaftsabbruch bereits nach der geltenden Rechtslage rechtmäßig und die Kosten werden einkommensunabhängig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Der versöhnliche Stand der Reformdebatte
Politisch gibt es derzeit – erstmals im wiedervereinigten Deutschland – ein Momentum für eine außerstrafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs: Die Justizministerinnen aus Sachsen, Hamburg und Niedersachsen haben auf der Justizministerkonferenz im Juni 2024 einen Beschlussvorschlag zur gesetzgeberischen Umsetzung der Empfehlungen der Kommission unterbreitet, der aber nicht zur Abstimmung kam. Parteipolitisch haben sich die Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Gruppe der Linken im Kern alle für eine Entkriminalisierung mit einem Rechtanspruch auf Beratung und einer Kostenübernahme positioniert, wobei Bündnis 90/Die Grünen eine kürzere Frist der Rechtmäßigkeit von 12 Wochen vorschlagen (S. 2). Dagegen wollen FDP und CDU/CSU an der strafrechtlichen Regelung festhalten. Die AfD tritt für eine noch restriktivere Regelung ein: Schwangerschaftsabbrüche sollen nur in Ausnahmefällen zulässig sein, etwa bei kriminologischen oder medizinischen Indikationen (S. 84).
Gesellschaftlich zeigte eine im Frühjahr 2024 durchgeführte repräsentative Umfrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass sich eine deutliche Mehrheit der Befragten, nämlich 75 Prozent – und zwar weitestgehend geschlechter- und konfessionsübergreifend, nicht klassisch an der eigenen Wahlabsicht oder der regionalen Herkunft orientiert – für eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs in den frühen Wochen außerhalb des Strafgesetzbuchs ausspricht. Die Tatsache, dass sich 26 Verbände und Organisationen mit doch unterschiedlicher Ausrichtung (u.a. Amnesty International Deutschland, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Juristinnenbund, Evangelische Frauen in Deutschland, pro familia, UN Women Deutschland, Sozialdienst muslimischer Frauen, ver.di, etc.) auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf verständigen konnten, deutet ebenfalls auf einen in der Zivilgesellschaft stark verbreiteten Reformwillen hin.
Der verfassungs- und menschenrechtliche Rahmen
In Einklang mit Schwangerschaftsabbruch II steht die Freiheit, eine Schwangerschaft zu beenden, unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der ungewollt Schwangeren (Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), genauer als Teil deren reproduktiven Selbstbestimmung, deren Recht auf Leben auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1) und deren Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2) (Rn. 165; Abschlussbericht, S. 194 f.; dazu Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 371 f., 414 f. m.w.N.). Eine sehr restriktive Regulierung der Schwangerschaftsabbruchs berührt unter Umständen auch die Menschenwürde (dazu Gesetzesentwurf, S. 1 m.w.N.). Folgt man dem UN-Frauenrechtsausschuss (Nr. 18), stellt zudem eine Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sowie die Verweigerung oder Verzögerung eines sicheren Schwangerschaftsabbruchs eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt dar, weil von einer solchen Regelung ganz überwiegend Frauen betroffen sind. Die gegenwärtigen strafrechtlichen Regelungen ließen sich daher auch als Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot (Art. 3 Abs. 2 GG) und Geschlechtsdiskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG) diskutieren (Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 415 m.w.N. in Fn. 231).
Zu den Grundrechtspositionen des Embryos bzw. Fetus gibt es einen über Jahrzehnte gewachsenen verfassungsrechtlichen Streitstand (vgl. dazu Abschlussbericht, S. 177-190). Anders als die Senatsmehrheit des Bundesverfassungsgerichts in Schwangerschaftsabbruch II (Rn. 158) greift die Kommission den bereits im Sondervotum von Rupp-von Brünneck und Simon zur Schwangerschaftsabbruch I-Entscheidung aus dem Jahr 1975 angedachten (Rn. 243) und dann im Sondervotum von Mahrenholz und Sommer zu Schwangerschaftsabbruch II (Rn. 394 f.) weiterentwickelten pränatal gestuften bzw. kontinuierlich anwachsenden Lebensschutz auf (Abschlussbericht, S. 192-194 m.w.N.). Die Kommission lässt dann im Ergebnis offen, ob für den Zeitraum zwischen Nidation und extrauteriner Lebensfähigkeit des Fetus entweder ein gleichbleibend geringes Schutzniveau oder ein Konzept des pränatal kontinuierlich anwachsenden Lebensrechts, dessen Schutz sich am jeweiligen Entwicklungsstadium des Embryos/Fetus orientiert, gelten soll (Abschlussbericht, S. 26 f., 199 f.). Den Grundrechten der Schwangeren kommt nach dieser Konzeption im Rahmen der Abwägung mit dem Lebensrecht des nasciturus zu Beginn der Schwangerschaft jedenfalls starkes Gewicht und mit Fortschreiten des Entwicklungsstadiums geringeres Gewicht zu (Abschlussbericht, S. 197-200). Ab extrauteriner Lebensfähigkeit des Fetus, also Überlebensfähigkeit außerhalb des Körpers der Schwangeren, komme dem Lebensrecht des Fetus jedenfalls grundsätzlich Vorrang vor den Grundrechten der Schwangeren zu (S. 208 f.).
Die Kommission hat dann weiter die grund- und menschenrechtliche Notwendigkeit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs für die frühe Phase der Schwangerschaft (S. 27; 205-207) wissenschaftlich fundiert dargelegt (S. 177-212; 279-281) und dabei die medizinischen (S. 41-51) wie auch die gesellschaftlichen und psychosozialen (S. 83-89) Aspekte berücksichtigt. Für die mittlere Phase der Schwangerschaft, also zwischen dem Ende der frühen Schwangerschaftswochen und der Lebensfähigkeit des Fetus ex utero, stehe dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu, wie er den grundrechtlichen Güterkonflikt auflöst und bis zu welchem Zeitpunkt er den Schwangerschaftsabbruch als rechtmäßig ansieht (S. 28 f.; 210). Soweit der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase oder danach rechtmäßig stellt, dürfe er – so die Kommission – weiterhin eine Beratungspflicht für die ungewollt Schwangere mit oder ohne Wartezeit vorsehen, müsse das aber nicht tun (S. 25 f.; 29).
Der gesetzgeberische Spielraum, den die Kommission der Politik mit Blick auf die Wartefrist und -pflicht eröffnet, entspricht der deutschen Verfassungsrechtstradition, weicht aber insofern von der völker- und europarechtlichen Kritik an einer strafrechtlichen Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs ab. Denn nach dem UN-Frauenrechtsausschuss (Nr. 39 c) sowie dort Nr. 18), dem UN-Sozialausschuss (Nr. 41, 43), den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (S. 22 ff., 41 f.) sowie nach dem Kommissar für Menschenrechte des Europarates (S. 59, 60) sollten Schwangerschaftsabbrüche vollständig entkriminalisiert und auch die verpflichtende Beratung und die dreitägige Wartefrist vor einem Schwangerschaftsabbruch abgeschafft werden. Daneben sollen die Krankenversicherungen die Kosten aller Schwangerschaftsabbrüche übernehmen. Zudem schlagen der UN-Frauenrechtsausschuss bereits seit dem Jahr 1999 (Nr. 11) und die anderen genannten Menschenrechtsgremien vor, Maßnahmen zu treffen, die medizinisches Personal bei einer Verweigerung des Abbruchs aus Gewissensgründen dazu verpflichtet, für Ersatz zu sorgen.
Nicht nur die völkerrechtliche Entwicklung von reproduktiven Rechten ermöglicht es, den Schwangerschaftsabbruch außerstrafrechtlich neu zu regeln. Es sind auch die Ausführungen aus Schwangerschaftsabbruch II selbst, die eine verfassungsrechtliche Neubewertung notwendig machen. Denn das Bundesverfassungsgericht missachtete in der Entscheidung nicht nur die sozialwissenschaftlich erforschten Interessen- und Konfliktlagen einer ungewollt schwangeren Person (vgl. Abschlussbericht, S. 83-89), sondern leistete mit seinem embryozentrierten und paternalistischen Ansatz und aufgrund der moralischen Hintergrundannahmen einen wesentlichen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Stigmatisierung von ungewollt Schwangereren und der Ärzteschaft (Rn. 250 f., 254 f., 263, 266, 323, 332, siehe auch Klein, Reproduktive Freiheiten, S. 213-223 oder zum Nachhören).
Daneben eröffnet auch die Weiterentwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Möglichkeit einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Äußerungen der UN-Fachausschüsse, die bei der Auslegung des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind (dazu Klein, S. 366 f.). Wichtige Impulse liefert zudem der internationale Vergleich von unterschiedlichen Regelungsmodellen des Schwangerschaftsabbruchs (Abschlussbericht, S. 289-315).
Der Gesetzesentwurf des Bündnisses
Auf Grundlage des Abschlussberichts der Kommission und (fast) in Einklang dieser menschenrechtlichen Empfehlungen hat das Bündnis nun einen 43-seitigen Gesetzesentwurf vorgeschlagen, der auf der rechtlichen Expertise von drei ehemaligen Kommissionsmitgliedern, Friederike Wapler, Maria Wersig und Liane Wörner, fußt. Der Vorschlag lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Entkriminalisierung
Die Voraussetzungen zur Durchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs sollen nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz (§§ 2a, 5, 6, 12 und 14 SchKG-neu) geregelt werden. Bis einschließlich der abgeschlossenen 22. Schwangerschaftswoche nach Empfängnis soll die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft in der Entscheidungsfreiheit der betroffenen Schwangeren stehen und rechtmäßig sein (§ 12 Abs. 1 und 2 SchKG-neu). Dies knüpft an die extrauterine Überlebensfähigkeit des Fetus an. Indem das Bündnis diesen Zeitpunkt für einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch wählt, schöpft es den von der Kommission eröffneten politischen Gestaltungsspielraum für die frühe und mittlere Schwangerschaftsphase vollends aus (Abschlussbericht, S. 28 f.; 210). Handlungen, die sich vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter auswirken, sollen nicht als Schwangerschaftsabbruch gelten (§ 12 Abs. 1 S. 2 SchKG-neu). Diese Formulierung findet sich bereits seit dem Jahr 1976 im Strafgesetzbuch (§ 219d StGB a.F.) und wortgleich im geltenden § 218 Abs. 1 S. 2 StGB. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind damit insbesondere der Einsatz sogenannter Nidationshemmer, wie der Spirale und der als Notfallverhütung bekannten „Pille danach“.
Freiwillige Beratung
Die bisherige Beratungspflicht und die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch sollen entfallen. Dies entspricht den Empfehlungen der Kommission (Abschlussbericht, S. 25 f.; 29) und den skizzierten menschenrechtlichen Empfehlungen. Stattdessen sollen Schwangere einen Rechtsanspruch auf eine ergebnisoffene Beratung im Rahmen eines inklusiv und niedrigschwellig ausgestalteten Beratungsangebots haben (§ 5 und § 6 SchKG-neu). Dazu soll auch ein Anspruch auf Sprachmittlung gehören (§ 6 Abs. 1 S. 2 SchKG-neu). Medizinisches Personal soll auf den gesetzlichen Beratungsanspruch hinweisen (§ 5 Abs. 1 S. 5 SchKG-neu), damit möglichst viele Personen, die eine Beratung wünschen oder sich mit ihrer Entscheidung unsicher sind, das Angebot tatsächlich wahrnehmen.
Bußgelder bei ärztlichen Pflichtverletzungen
Die bisher in den geltenden §§ 218b, 218c, 219b StGB sanktionierten ärztlichen Pflichtverletzungen sollen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und zu Bußgeldtatbeständen im Schwangerschaftskonfliktgesetz herabgestuft werden (§ 14 Nr. 3 bis 7 SchKG-neu) (Gesetzesentwurf, S. 6).
Einkommensunabhängige Kostenübernahme
In Einklang mit dem von der Kommission geforderten „verfassungsrechtlichen Konsistenzgebot“ (Abschlussbericht, S. 29, 207) sollen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für alle rechtmäßigen Schwangerschaftsabbrüche einkommensunabhängig tragen (§ 24b SGB -neu; § 51 SGB V-neu; § 4 Abs. 2a AsylblG). Damit würden die besonderen Leistungen bei Bedürftigkeit (§§ 19-24 SchKG) und damit auch der bürokratische Aufwand bzgl. der Bedürftigkeitsermittlung und Erstattung mit den jeweiligen Ländern entfallen (Gesetzesentwurf, S. 25, 37).
Medizinische Indikation
Neben dem rechtmäßigen Abbruch der Schwangerschaft auf Verlangen soll der – bereits nach geltender Rechtslage gemäß § 218a Abs. 2 StGB – rechtmäßige Abbruch der Schwangerschaft nach medizinischer Indikation treten (§ 12 Abs. 3 SchKG-neu). Ein Abbruch wegen medizinischer Indikation ist bereits gegenwärtig bis zum Beginn der Geburt möglich. Dies soll beibehalten werden. Die Kommission wies darauf hin, dass die medizinische Indikation einschließlich der Fälle embryo- bzw. fetopathischer Befunde neu zu regeln sei. Denn derzeit fehlten gesetzliche Kriterien zur Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einem pränataldiagnostisch auffälligen Befund ein Schwangerschaftsabbruch durch Fetozid bei extrauteriner Lebensfähigkeit des Fetus zulässig ist (Abschlussbericht, S. 28, 47 f., 51). Der Gesetzesentwurf schlägt wie die Kommission vor, dass Leitlinien im ärztlichen Berufsrecht das Nähere regeln sollten. Dafür liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern (Gesetzesentwurf, S. 5 f.).
Ärztliche individuelle Verweigerungsmöglichkeit
Der Gesetzesentwurf sieht – wie bisher wortgleich in § 12 Abs. 1 und Abs. 2 SchKG – die Möglichkeit vor, die „Mitwirkung“ eines Schwangerschaftsabbruchs zu verweigern; dies gilt nicht bei akuter Lebens- und Gesundheitsgefahr der ungewollt Schwangeren (§ 12 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SchKG-neu). Die Verweigerungsmöglichkeit trägt der ärztlichen Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) Rechnung. In Ausnahmefällen wiederum gebührt dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der Schwangeren Vorrang. Zu Recht weist der Entwurf darauf hin, dass in diesen Fällen eine ärztliche Pflicht zum Tätigwerden besteht, deren Verletzung als unterlassene Hilfeleistung, Körperverletzung oder als Tötungsdelikt bei einer Garantenstellung strafbar sein kann (Gesetzesentwurf, S. 34). Präziser wäre es, anstelle von „Mitwirkung“ von der „Vornahme“ eines Schwangerschaftsabbruchs, die verweigert werden kann, zu sprechen. Denn zum einen sind damit bereits begrifflich für den Abbruch notwendige Vorbehandlungen, eine wertneutrale Beratung oder eine erforderliche Nachsorge ausgenommen (siehe Gesetzesentwurf, S. 34). Diese Tätigkeiten zählen schließlich zur gynäkologischen Standardversorgung. Zudem anderen verdeutlicht das Wort „Vornahme“, dass es sich um eine individuelle Verweigerungsmöglichkeit und nicht um eine „institutionelle“ Verweigerung handelt (vgl. Gesetzesentwurf, S. 34). Juristische Personen, Organisationen oder Führungskräfte sollen nämlich die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen nicht pauschal verweigern dürfen (Gesetzesentwurf, S. 34). Hierunter fallen auch öffentliche Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft (Gesetzesentwurf, S. 34). Der Vorschlag begründet dies mit dem grundrechtlichen Sicherstellungsauftrag der Gesundheitsversorgung (Gesetzesentwurf, S. 34). Damit greift er auf eine menschenrechtliche Empfehlung (S. 60) zurück. Die Regelung würde gerade in Regionen mit einem eingeschränkten Versorgungsangebot einen effektiven Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ermöglichen, könnte dennoch für weiteren Diskussionsstoff sorgen.
Ein wichtiger Aspekt fehlt allerdings (noch) im Gesetzesentwurf: nämlich die menschenrechtlich vorgeschlagene Pflicht, bei einer individuellen ärztlichen Verweigerung des Abbruchs für Ersatz zu sorgen. Eine solche Regelung berücksichtigt die ärztliche Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und sichert zugleich einen effektiven Zugang zu einem rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch ab, würde also den Grundrechten der ungewollt Schwangeren noch besser Rechnung tragen. Die künftige rechtspolitische Debatte sollte deshalb einen solchen Sicherungsmechanismus miteinbeziehen.
Kriminalisierung nicht selbstbestimmter Abbrüche
Der geltende § 218 StGB soll in Zukunft (allein) die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs gegen oder ohne den Willen der Schwangeren regeln (§ 218 StGB-neu) (Gesetzesentwurf, S. 15, 39-41). Explizites Schutzgut sind das Leben, die reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung Schwangerer (Gesetzesentwurf, S. 39). Die Kriminalisierung „nicht selbstbestimmter Abbrüche“ geht auf eine Empfehlung der Kommission zurück (Abschlussbericht, S. 337). Der Gesetzesentwurf schlägt vor, „wenigstens leichtfertige“ Handlungen gegen oder ohne den Willen der Schwangeren mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe zu bestrafen (§ 218 Abs. 1 StGB-neu) (Gesetzesentwurf, S. 15, 28). Damit gilt ein erhöhter Fahrlässigkeitsmaßstab. Das Strafmaß soll sich auf sechs Monate bis zu zehn Jahren erhöhen, wenn der Täter absichtlich oder wissentlich handelt (§ 218 Abs. 2 Nr. 2 StGB-neu) oder die Schwangere durch die Tat leichtfertig in die Gefahr des Todes bringt oder eine schwere Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht (§ 218 Abs. 2 Nr. 2 StGB-neu). Der Straftatbestand soll zum Schutz vor Missbrauch und zum Schutz der Schwangeren selbst als relatives Antragsdelikt ausgestaltet werden (§ 218 Abs. 4 StGB-neu) (Gesetzesentwurf, S. 15, 41). Der Entwurf enthält daneben eine flankierende Ergänzung in § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB-neu: Strafbar soll nicht mehr – wie bisher – allein die Nötigung zu einem Abbruch sein, sondern auch die Nötigung, einen Abbruch zu unterlassen (Gesetzesentwurf, S. 15, 28, 41 f.; so auch Abschlussbericht, S. 337).
Die Zeit ist reif
Es gibt viele Gründe, die für eine baldige Reform sprechen. Die geltenden Regelungen im Strafgesetzbuch gehen zurück auf die inkonsistente und widersprüchliche Schwangerschaftsabbruch II-Entscheidung, deren Hintergrundannahmen spätestens heute nicht mehr überzeugen. Aus rechtlicher Sicht fordern die Grund- und Menschenrechte eine Abkehr vom jetzigen strafrechtlichen Modell. Daneben sind die gegenwärtigen rechtlichen Einfallstore, die autoritär-populistische Parteien nutzen können, um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen hierzulande zu beschränken, ernst zu nehmen.
Nicht nur juristische Stimmen scheinen zunehmend weniger überzeugt von einer strafrechtlichen Regelung. Politisch und gesellschaftlich steht gegenwärtig (noch) ein Zeitfenster offen, das Reformen möglich erscheinen lässt. Heribert Prantl forderte bei seinem Plädoyer für die Abschaffung von §§ 218 ff. StGB: „Achtung statt Ächtung“. Die Zeit scheint reif dafür.