Ein etatistisches Missverständnis – Verfassungsblog – Go Well being Professional

Warum parteipolitische Neutralität den Staat nicht verpflichtet, der geförderten Zivilgesellschaft parteifeindliche Äußerungen zu verbieten

In den letzten Jahren hat sich unterhalb von Rechtsprechung und Rechtsetzung ein Diskurs ausgebreitet, demzufolge die staatlich geförderte Zivilgesellschaft den gleichen Äußerungsregeln wie der Staat unterliegt. Wenn es nach dem parlamentarischen Beratungsdienst Brandenburg, dem wissenschaftlichen Parlamentsdienst Berlin oder dem Sächsischen Rechnungshof geht, muss der Staat – um seiner eigenen Neutralitätspflicht nachzukommen – auch Zuwendungsempfänger:innen auf Neutralität verpflichten. Ein gegenläufiges Gutachten von Friedhelm Hufen hat die Thematik jüngst wieder in den Fokus gerückt (taz, ZEIT). Da Gerichte sich zu solchen Neutralitätsanforderungen an die Zivilgesellschaft kaum geäußert haben, ist die Verunsicherung entsprechend groß. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Regierungsäußerungen haben schon die „rote Karte“ gegen die AfD oder ihre Titulierung als „staatszersetzend“ gegen die amtliche Neutralitätspflicht verstoßen. Vereine sind deswegen verunsichert, ob sie ein Verbot der AfD fordern oder zu Demonstrationen gegen Parteien aufrufen können, ohne Gemeinnützigkeit und Förderung aufs Spiel zu setzen. Doch der Äußerungsspielraum ist größer als vielfach angenommen. Eine verfassungsrechtliche Pflicht des Förderstaates, ihn zu beschränken, besteht in den meisten Fällen nicht.

Denn es ist ein etatistisches Missverständnis, dass jedes Objekt staatlicher Förderung zum verlängerten Arm des Staates wird, an den staatliche Maßstäbe anzulegen wären. Etatistisch ist dieses Missverständnis, weil es die Trennung von Staat und Gesellschaft auf Kosten der Gesellschaft und ihrer Freiheit vollzieht. Die staatliche Sphäre, in der Neutralität zu herrschen hat, dehnt sich darin mit der finanziellen Förderung auf beachtliche Teile der Zivilgesellschaft aus. Auf diesen Fallstrick hat schon Klaus Schlaich 1972 in seiner Habilitation „Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip“ hingewiesen: „Identifiziert sich denn der Staat mit jeder Lehrmeinung, Philosophie oder Staatsauffassung seiner beamteten Professoren, deren Lehrfreiheit er im Rahmen der Verfassungstreue garantiert? […] Die staatlichen Museen, Theater und sonstigen kulturellen Veranstaltungen bringen Kunstauffassungen und politische Vorstellungen zum Ausdruck, ohne daß diese dadurch zur „Staatskunst“ oder zum „Staatstheater“ würden. […] Sofern der Sozial- und Kulturstaat fördert, muß dies in „freiheitsrespektierender und freiheitsgarantierender Neutralität“ (M. Heckel) geschehen“ (S. 241, 251). Wo ist additionally diese Freiheitsgarantie verloren gegangen?

Das Bundesverfassungsgericht zu staatlicher Neutralität

Das Gebot parteipolitischer Neutralität des Staates wurde vom Bundesverfassungsgericht ausgehend von der „Parteienfinanzierung II“-Entscheidung von 1966 entwickelt. Aus den Leitsätzen dieser Entscheidung stammt der demokratietheoretische Kern des Neutralitätsprinzips: „Der Grundgesetzgeber hat sich, indem er die freiheitliche demokratische Grundordnung geschaffen hat, für einen freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden. Dieser Prozeß muß sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Den Staatsorganen ist es grundsätzlich verwehrt, sich in bezug auf diesen Prozeß zu betätigen (Artwork 20 Abs 2, 21 GG).“ Politische Willensbildung soll sich von unten, das heißt staatsfrei aus der Gesellschaft heraus entwickeln, nicht zuletzt aus Parteien, Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen. Die Freiheit dieses Prozesses ist das Schutzgut staatlicher Neutralität. In der Entscheidung zur „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung“ hat das Bundesverfassungsgericht 1977 daraus den naheliegenden Schluss gezogen, das staatliche Organe wie das Bundespresseamt keinen Wahlkampf für die Regierungsparteien führen dürfen.

In einer Rechtsprechungskette ab 2014 hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gebot für die Äußerungen einzelner Regierungsmitglieder verschärft (BVerfG „Schwesig“, „Wanka“, „Seehofer“, „Merkel“). Sobald eindeutig staatliche Ressourcen, Kommunikationskanäle oder die Autorität des Amtes in Anspruch genommen werden, dürfen Regierungsmitglieder sich nicht mehr negativ über demokratiefeindliche Oppositionsparteien äußern (Michl, Payandeh). Da das die Regierung entpolitisiert, ist diese Rechtsprechung auf überzeugende Kritik gestoßen (Möllers, Gärditz, Meinel). Hier sei nur aus dem Sondervotum von Astrid Wallrabenstein zitiert: „Eine neutrale, womöglich expertokratische, Regierung ist für eine Parteiendemokratie ein Krisenphänomen. Die Sorge, dass die Richtung des politischen Willensbildungsprozesses umgekehrt werden könnte, wird gerade durch den Anschein von Neutralität des Regierungshandelns begründet.“ Mitzunehmen für etwaige Neutralitätsanforderungen an die Zivilgesellschaft ist der Gedanke, dass eine falsch verstandene Neutralität selbst Gefahr läuft, die Richtung des Willensbildungsprozesses umzudrehen, das heißt womöglich selbst in staatliche Meinungslenkung umzuschlagen.

Neutralitätsanforderungen der Zivilgesellschaft

Eine originäre Neutralitätspflicht für zivilgesellschaftliche Akteure kann es nicht geben (Hufen, Gersdorf). Diese kann nur aus der Bindung von Hoheitsträgern an subjektive Rechte erwachsen. Es kann additionally immer nur darum gehen, dass der Staat seine eigenen Neutralitätspflichten über Tatbestandsvoraussetzungen von Steuerbegünstigungen oder Nebenbestimmungen von Zuwendungsbescheiden auf Grundrechtsträger:innen abwälzt. Eine wichtige Förderung der Zivilgesellschaft liegt in der Steuerverschonung für gemeinnützige Körperschaften. Der Bundesfinanzhof hat einerseits entschieden, dass allgemeinpolitische Betätigung die Gemeinnützigkeit nach §§ 51ff. AO ausschließt (Unger, Leisner-Egensperger). Andererseits hat er klargestellt, dass die Körperschaften sich im verbleibenden, auf die gemeinnützigen Zwecke bezogenen politischen Betätigungsspielraum parteipolitisch impartial verhalten müssen (BFH „BUND“, „attac“). Damit könnte nur eine klare Trennung von den Parteien und ihrem Zweck, politische Macht im Staat zu erringen, gemeint sein. Es könnte aber auch schon jede Negativäußerung gegenüber einer Partei unzulässig sein (Stichwort „rote Karte“). Das ist offen geblieben (kontrovers: Kube/Gohlke und Zimmermann).

Die eingangs zitierten Gutachten der parlamentarischen Beratungsdienste stellen solch eine strikte Anforderung an Organisationen, die staatliche Zuwendungen erhalten: „Die staatliche Förderung darf den damit vorgezeichneten Boden parteipolitischer Neutralität nicht verlassen, es ist ihr versagt, die hierdurch vorgegebenen Grenzen (zulässiger Öffentlichkeitsarbeit oder des Eintretens im Sinne des Prinzips der streitbaren Demokratie) zu dehnen, und sie darf daher im Ergebnis weder darauf gerichtet sein, das Gebot parteipolitischer Neutralität durch eine Förderung in ihrem Sinne parteipolitisch agierender Dritter auszuhebeln, noch darf sie es hinnehmen, dass Fördermittel zu diesem Zwecke eingesetzt werden.“ Das gilt auch, wenn eine Organisation sich „bewusst gegen eine bestimmte Partei wendet, ohne gezielt zugunsten einer anderen Partei zu handeln“ (PBD Brandenburg, S. 47). Der Sächsische Rechnungshof verbietet sich im Namen der Neutralität gleich Regierungskritik aus den Reihen der Zuwendungsempfänger:innen (Hufen, Deyda). Der Gedanke parteipolitischer Neutralität, der historisch dem Berufsbeamtentum (§ 60 BBG, § 33 BStG, Artwork. 130 WRV) entstammt, hat eine Reise mit einem irritierenden Ende hinter sich: Mit einem Umweg über die Äußerungsbefugnisse der Regierung ist eine beamtenrechtliche Pflicht mit der sozialstaatlichen Förderung in der Zivilgesellschaft angelangt.

Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

Wenn sich ursprünglich staatliche Neutralitätspflichten an die Gesellschaft richten, muss das irritieren, weil es bei Neutralität im Kern um die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und ihrer jeweiligen Maßstäbe und Eigengesetzlichkeiten geht. In allen Spielarten – Nicht-Identifikation, Unparteilichkeit oder Nicht-Einmischung – dreht sich Neutralität immer darum, einen gesellschaftlichen Bereich vor dem Staat abzuschirmen. Da es eine echte Trennung von Staat und Gesellschaft in einer Demokratie nicht geben kann, steht das Neutralitätsgebot vor einer paradoxen Aufgabe. Es muss dort eine Trennlinie ziehen, wo eigentlich alles verschwimmt. Die Musik spielt deswegen in den Zurechnungsfragen. Interessant ist weniger die Frage, was der Staat darf, als was noch Staat oder schon Gesellschaft ist: Spricht dort die Bundeskanzlerin oder eine CDU-Politikerin? Ist das Kopftuch einer Lehrer:in eine staatliche oder eine personal Glaubensbekundung? Und eben auch: Äußert sich in Gestalt der geförderten Zivilgesellschaft wirklich der Staat?

Der Zurechnungsmaßstab in der Äußerungsjudikatur ist die Verwendung staatlicher Mittel. Der Schluss ist schnell gezogen, dass auch Personal, die staatliche Mittel wie Fördergelder oder staatlich veredelte Spenden benutzen, sich impartial verhalten müssen. Dieser Maßstab wurde aber konzipiert, um einem staatlichen Amt Äußerungen zuzurechnen. Er ist deswegen nur bedingt auf die Förderkonstellation übertragbar. Passender ist ein Maßstab, der am Förderzweck ansetzt und damit die staatliche Seite der Förderkonstellation in den Blick nimmt. Dazu führt das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf parteinahe Stiftungen aus: „Erfolgt die Vergabe öffentlicher Finanzmittel an Dritte, kann allerdings – auch wenn der vorgesehene Verwendungszweck dieser Mittel politische Bezüge aufweist – nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass durch die Zuweisung dieser Mittel in das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit eingegriffen wird. Dies gilt insbesondere, wenn die Mittel Institutionen zugewendet werden, die von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sind, ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmen und auch in der Praxis Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren.“

Es gibt eine ganze Reihe von Förderzwecken, die hochpolitische Bezüge aufweisen, aber parteipolitisch impartial sind. Dazu zählen Wohlfahrt, Jugendhilfe, Sport- und Kulturförderung, aber auch die derzeit umkämpften Bereiche wie Inklusion und Integration, die Beratung von Betroffenen rassistischer Gewalt, die Gedenkstättenarbeit oder Antidiskriminierung. Staatliche Förderung ist hier verfassungsrechtlich legitimiert, bedient zum Teil grundrechtliche Schutzpflichten und ist vor allem – das kommt häufig zu kurz, wenn es um Neutralität geht – demokratisch legitimierte Gesellschaftsgestaltung. Solange die Geförderten von Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sind, werden die politischen Bezüge auch dann nicht parteipolitisch, wenn es Parteien gibt, die diese Förderzwecke ablehnen. Der Staat muss zwar die zweckgemäße Mittelverwendung kontrollieren. Ihm sind aber nicht alle auf Parteien bezogene Äußerungen zurechenbar.

Problematisch wird es erst, wenn die Aufklärung über, Warnung vor oder Beratung zur parteiförmigen extremen Rechten der Förderzweck ist (vergleichbar BVerwG „Osho“). Eine Abwägung mit dem Prinzip der wehrhaften Demokratie oder grundrechtlichen Schutzpflichten kann hier nur stattfinden, wenn es eine spezialgesetzliche Grundlage gibt. Eine ganz eigene Debatte müsste dabei der Frage nachgehen, welche Schlüsse aus dem späten Verdikt des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen sind, dass das Prinzip der wehrhaften Demokratie keine „pauschale Eingriffsermächtigung“ darstellt (BVerfG „Ramelow“, anders noch „Abhörurteil“; zu den Abgründen der wehrhaften Demokratie: Schulz, Merkel, Wihl) und in welchem Verhältnis das zur Legitimität steht, verfassungsfeindliche Parteien „durch eine mit Argumenten geführte politische Auseinandersetzung in die Schranken verweisen zu lassen und dadurch ein Verbotsverfahren überflüssig zu machen“ (BVerfG „Verfassungsschutzbericht“; zur Demokratieförderung: Müller-Elmau/Zillessen, Hölzen/Marandi, Müller/Kube). Das gleiche gilt für die Frage der Kompetenzverteilung (Battis/Grigoleit/Drohsel, Möllers, Wihl, Becker).

Zivilgesellschaftliche Äußerungsautonomie als objektive Gewährleistung der Meinungsfreiheit

Auch ein grundrechtlicher Blick auf die Förderkonstellation spricht für die zurückhaltende Interpretation zivilgesellschaftlicher Neutralitätsanforderungen. Eine an der Wirtschaftssubvention geschulte Lehre geht zwar grundsätzlich davon aus, dass im Bereich der Leistungsverwaltung höchstens Artwork. 3 I GG in Kind einer Selbstbindung der Verwaltung an die eigene Förderpraxis einschlägig ist (Ossenbühl). Diese Auffassung stößt aber an ihre Grenzen, wo Grundrechte zu objektiven Gewährleistungspflichten ausgebaut wurden. Diese wirken auch, wenn der Staat begünstigt, statt einzugreifen. Zur „Pressesubvention“ hat das Bundesverfassungsgericht deshalb ausgeführt: „Die Freiheit der Presse […] kann durch staatliche Vergünstigungen nicht weniger gefährdet werden als durch hoheitliche Eingriffe und Beschränkungen.“ Den Geförderten steht sogar ein Abwehrrecht gegen jede „inhaltslenkende Wirkung“ zu, die mit der Förderung einhergeht. Doch wie verhält es sich mit der „einfachen“ Meinungsfreiheit im Leistungsbereich? Sie ist immerhin die Mutter der objektiven Grundrechtswirkung und „schlechthin konstituierend“ für die Demokratie (BVerfG „Lüth“). Wenn es um die Frage geht, ob der Staat die zivilgesellschaftliche Äußerungsautonomie zum Schutz eines „freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung“ beschränken muss, beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn Parteien wirken gemäß Artwork. 21 I GG an diesem Prozess nur mit. Das Schutzgut staatlicher Neutralität sperrt sich dagegen, in seinem Namen über Gebühr auf die zivilgesellschaftliche Meinungsbildung einzuwirken.

Das Gebot parteipolitischer Neutralität und die Gewährleistung zivilgesellschaftliche Äußerungsautonomie sind in Einklang zu bringen, indem man das Neutralitätsgebot im Gemeinnützigkeits- und Zuwendungsrecht eng auf die Förderung von Parteien bezieht. Der Staat darf keine verdeckte Parteienfinanzierung betreiben. Die geförderte Zivilgesellschaft hat deswegen Unabhängigkeit von den Parteien zu wahren und Distanz zu ihrem Wahlkampf zu halten. Eine umfassende Neutralisierung der Zivilgesellschaft, die auch schon parteifeindliche Äußerungen erfasst, muss der Staat hingegen nicht betreiben. Seine Neutralität ist schließlich freiheitsgarantierend.

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