§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG als Instrument der Diskriminierung
Dass bereits seit geraumer Zeit der Wille besteht, das Staatsangehörigkeitsrecht zu instrumentalisieren, um Menschen über ihre doppelte Staatsangehörigkeit loszuwerden, zeigte sich zuletzt sehr deutlich an den Correctiv-Veröffentlichungen vom 10. Januar 2024. Aber auch die etablierten Volksparteien diskutieren offen darüber, wie sich kriminalpolitische Probleme staatsangehörigkeitsrechtlich lösen lassen könnten. So schlagen die Innenminister*innen der Unionsparteien in ihrem Positionspapier „Kriminelle Clans zerschlagen“ vom August 2023 vor, zu prüfen, ob und inwiefern zur Bekämpfung von „Clankriminalität“ Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, die an Organisierter Kriminalität nachweisbar mitwirken, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden kann. Auch wenn mit der Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts im März 2024 die meisten Verlustgründe aus dem StAG gestrichen wurden, bleibt mit dem Terrorismusverlustgrund § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG eine Regelung übrig, die hohes Diskriminierungspotenzial aufweist.
Völker- und verfassungsrechtliche Grenzen für den Verlust von Staatsangehörigkeit
Das Staatsangehörigkeitsrecht wird grundsätzlich als „innere Angelegenheit“ betrachtet und fällt in die nationale Zuständigkeit der Staaten. Dennoch müssen die Staaten völkerrechtliche Grenzen beachten, die auf zwei zentralen völkerrechtlichen Prinzipien basieren, die in Artwork. 15 der AEMR festgelegt sind: dem Gebot, Staatenlosigkeit zu vermeiden, und dem Verbot der willkürlichen Entziehung von Staatsangehörigkeit. Das Verbot der willkürlichen Entziehung ist mittlerweile völkergewohnheitsrechtlich erstarkt und verpflichtet somit alle Staaten.1) Darunter versteht man u.a. Fälle, in denen die Staatsangehörigkeit zum alleinigen Zweck der Ausweisung angeordnet wird oder aufgrund diskriminierender Regelungen eintritt und nicht verhältnismäßig ist.2)
Die deutsche Verfassung schützt mit Artwork. 16 Abs. 1 GG die deutsche Staatsangehörigkeit grundrechtlich. Dort steht ausdrücklich, dass diese ausnahmslos nicht entzogen werden darf. Ein erlaubter Verlust kann nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Für den Parlamentarischen Rat,3) der bis ins Jahr 1949 das Grundgesetz und damit auch den Artwork. 16 GG erarbeitete, gab Artwork. 15 AEMR den konkreten Anstoß für Artwork. 16 Abs. 1 GG, dessen Entstehungsgeschichte unter dem unmittelbaren Eindruck der Ausbürgerungspraxis der NS-Zeit steht. Unter den Nationalsozialisten wurde der Entzug der Staatsangehörigkeit instrumentalisiert, politisch und anderweitig Unerwünschte auszubürgern.4) Der Staatsangehörigkeitsstatus wurde in „Zugehörigkeitsverhältnisse besserer und minderer Güte aufgespaltet“. Der Entzug der Staatsangehörigkeit lag unterschiedlichen „Würdigkeitskriterien“ zugrunde (vgl. BVerfGE 116, 24, 44.).
Einfallstor für rassistische Diskriminierungen
Das Einfallstor für rassistische Diskriminierungen im Ausbürgerungsrecht ist die Verlustregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG.5) Danach „[verliert] ein Deutscher, der sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt […] die deutsche Staatsangehörigkeit, es sei denn, er würde sonst staatenlos“. Dieser Verlustgrund besteht auch noch nach dem Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts (StARModG), das der Bundestag im März diesen Jahres beschloss.6) Anlass der zuvor vorgenommenen Gesetzesänderung im Jahr 2019 zu den Verlustregelungen, die § 28 StAG um den Terrorismus-Verlustgrund ergänzte, conflict eine politische Debatte über den richtigen Umgang mit deutschen IS-Kämpfer*innen. Zwar lehnt sich der neue Verlustgrund in seiner Formulierung an den Streitkräfteverlustgrund des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG an. Die Einführung dieser Vorschrift markierte aber dennoch eine Zäsur im Staatsangehörigkeitsrecht, die sich kaum in die Systematik der bis dahin existierenden Verlustgründe einordnen lässt. § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG birgt vor dem Hintergrund der politischen Debatten das Risiko, ein Vorbild für willkürliche und diskriminierungsanfällige Verlustregelungen zu sein.
Die beiden Verlustregelungen des § 28 StAG haben zwar gemeinsam, dass das jeweilige tatbestandliche Verhalten auf der Missachtung bestimmter Werte bzw. Illoyalität beruht. Der Eintritt in ausländische Streitkräfte (Nr. 1), dessen Staatsangehörigkeit man ebenfalls besitzt, adressiert einen Loyalitätskonflikt, der an der ausländischen Staatsangehörigkeit festgemacht wird. Anders bei dem Terrorismusverlustgrund (Nr. 2), wo der Rechtfertigungsschwerpunkt auf dem terroristischen Verhalten selbst liegt, das die Abwendung von Deutschland und seinen Grundwerten begründet. Zwar können beide Verlustgründe nur auf Mehrstaater*innen angewendet werden, um Staatenlosigkeit zu vermeiden, was auch die Gleichbehandlung von Personen mit einfacher- zu mehrfacher Staatsangehörigkeit gefährdet. Aber nur der Terrorismusverlustgrund öffnet durch seine rechtsdogmatische Ausgestaltung die Tür für rassistische Diskriminierungen.
Dieses Missbrauchspotenzial spiegelt sich bereits in einem Vorschlag der Innenminister*innen der Unionsparteien vom August 2023 wider. In ihrem Positionspapier „Kriminelle Clans zerschlagen“ schlagen sie vor, zu prüfen, ob und inwiefern zur Bekämpfung von sogenannter Clankriminalität Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, die an Organisierter Kriminalität nachweisbar mitwirken, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden kann. Dieser Vorschlag orientiert sich an der Verlustregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG. Nicht zufällig ist die „Clankriminalität“ Teil des Vorschlags der Union. Betroffen sind davon vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, häufig mit muslimischem Glauben, eine weitere Ähnlichkeit mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG. In rechtswissenschaftlicher und soziologischer Forschung wird „Clankriminalität“ auch deswegen teilweise als rassistisches Narrativ dekonstruiert, um bestimmte Personengruppen rassistisch zu kriminalisieren.7) Könnte § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG einen Pattern ins Rollen gebracht haben, Verlustgründe zu etablieren, die unter dem Deckmantel einer, je nach Staatsbürgerschaftsverständnis anerkannten, Loyalitätsvorstellung das Ausbürgerungsrecht ausnutzen, um bestimmte Personengruppen loszuwerden?
Dieses Missbrauchspotenzial zeigt sich auch daran, wie § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG verwaltungsrechtlich umgesetzt und ausgestaltet wird. Anders als in anderen Ländern mit vergleichbaren Verlustgründen ist hier die Staatsangehörigkeitsbehörde wesentlich dafür verantwortlich, die Norm anzuwenden. Während manche Länder eine Überprüfung durch die Gerichte8) oder sogar ein Strafverfahren mit abschließenden Urteil9) als Voraussetzung für den Verlust aufgrund von Terrorismus vorsehen, regelt § 28 Abs. 3 StAG in Deutschland, dass die Rechtsfolge des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG kraft Gesetzes eintritt. Der Verlust der Staatsangehörigkeit ist aber nach § 30 Abs. 1 S. 3 StAG von Amts wegen deklaratorisch festzustellen, nach § 28 Abs. 3 S. 2 StAG wäre bei gewöhnlichem Aufenthalt des*der Betroffenen im Inland die oberste Landesbehörde oder die von ihr nach Landesrecht bestimmte Behörde zuständig. Dagegen kann die betroffene Individual zwar Widerspruch nach §§ 70 ff. VwGO bzw. Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO erheben. Insofern trägt dann die zuständige Staatsangehörigkeitsbehörde für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG nach § 28 Abs. 3 S. 2 StAG die Darlegungs- und Beweislast. Erfolgreiche Rechtsmittel könnten aber nicht den Verlust als Rechtsfolge beseitigen, sondern „nur“ den Feststellungsbescheid der Behörde. Über den Umweg eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens ermöglicht dies daher dennoch, dass die Widerspruchsbehörde oder die Verwaltungsgerichte die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG inzident materiell-rechtliche überprüft.
Krisenmanagement im Staatsangehörigkeitsrecht
Zwar genießt die deutsche Staatsangehörigkeit mit Artwork. 16 Abs. 1 GG einen, auch im internationalen Vergleich, hohen Schutzstandard, der verbietet, dass die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden darf. Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund von rassistischen oder anderen diskriminierenden Gründen ist ein verfassungswidriger Entzug iSv Artwork. 16 Abs. 1 GG. Dennoch besteht mit der Verlustregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG auf verschiedenen Ebenen ein Missbrauchspotenzial, das von denjenigen ausgenutzt werden kann, die Menschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit los werden wollen. Dass der neue Verlustgrund in § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG an Verhalten anknüpft, dass an Werte- und Loyalitätsvorstellungen gemessen wird, birgt ein ernstzunehmendes Risiko. Dessen missbräuchliche Anwendung, wie beispielsweise ein „Clan-Verlustgrund“, könnte die Hintertür für diskriminierungsanfällige Regelungen im Ausbürgerungsrecht öffnen und damit auch den einheitlichen Standing der Staatsangehörigkeit gefährden. Um das Missbrauchspotenzial des Staatsangehörigkeitsrechts einzudämmen und es damit für die Zukunft krisenfest zu machen, muss § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG gestrichen werden.