Halbgare Würste – Verfassungsblog – Go Health Pro

Bekanntlich sind Gesetze wie Würste. Doch dass man – anders als nach dem Otto von Bismarck zugeschriebenen Zitat – bei beiden durchaus dabei sein sollte, wenn sie gemacht werden, zeigt die momentane Reform des Tierschutzgesetzes (TierSchG). Beworben als umfangreichste tierschutzrechtliche Reform „seit vielen Jahren“, „seit zehn Jahren“ oder „der vergangenen Jahrzehnte“, fand am 26. September im Bundestag die erste Lesung des Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes und des Tiererzeugnisse-Handels-Verbotsgesetzes statt. Das werbewirksame (Eigen-)Lob kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zu verantwortende Gesetzesentwurf im Laufe der vergangenen eineinhalbjährigen Vorarbeiten an entscheidenden Stellen abgeschwächt oder nicht zu Ende gedacht wurde und deshalb rechtlichen Bedenken begegnet.

Der Entwurf enthält einen bunten Strauß an Änderungen und neuen Regelungen in verschiedenen Bereichen. Die anfangs für einen § 1 S. 3 TierSchG vorgesehene Kodifizierung der Rechtsprechung des BVerwG, wonach ein wirtschaftliches Interesse für sich genommen keinen vernünftigen Grund für Tierleid darstellt, fiel bereits früh dem politischen Rotstift zum Opfer. Von den Regelungsgegenständen, die derzeit noch enthalten sind, will ich im Folgenden drei herausgreifen, um spezifisch rechtliche und insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken zu illustrieren.

Das Verbot, das keines ist

Ein Hauptanliegen des Gesetzesvorhabens ist es, die sogenannte Anbindehaltung zu verbieten, die hunderttausende Rinder in Baden-Württemberg und Bayern betrifft. Diese Tiere stehen ihr ganzes Leben lang – häufig mit Ketten um den Hals – am selben Fleck und sind daher in ihren natürlichen Verhaltensweisen hochgradig eingeschränkt. Solche Zustände soll ein neuer § 2b Abs. 1 S. 1 TierSchG ausdrücklich untersagen. In der Sache ist das Verbot nichts Neues: Schon seit 1972 ist es nach § 2 Nr. 2 TierSchG (bzw. sinngemäßen Vorgängernormen) verboten, die Möglichkeit eines Tieres zu artgemäßer Bewegung so einzuschränken, dass ihm Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Mehrere Urteile bestätigen, dass es sich bei der Anbindehaltung um eine derartige Einschränkung der Bewegungsfreiheit handelt und sie daher – zumindest in ihrer ganzjährigen Form – rechtswidrig ist.1) Kommentare,2) Aufsätze,3) Gutachten und auch Beiträge auf dem Verfassungsblog haben ausgiebig auf diese Rechtslage hingewiesen.

Nun spräche nichts dagegen, dieses Verbot noch einmal explizit im TierSchG auszubuchstabieren. Im Gegenteil: Für klare Verhältnisse, einen rechtssicheren Vollzug und als nachdrücklicher Appell wäre eine konkrete Verbotsnorm zu begrüßen. Bedenklich ist jedoch, dass der vorliegende Gesetzesentwurf offenbar davon ausgeht, dass bisher kein Verbot der Anbindehaltung existiere, und er diese gemäß der Übergangsvorschrift in § 21 Abs. 1a S. 1 für die nächsten zehn Jahre explizit erlauben will. Das eigentliche Anliegen wird dadurch in sein Gegenteil verkehrt: Statt die Anbindehaltung zu verbieten hebt der Entwurf das bisher geltende Verbot auf. Dass das bisherige Verbot bei weitem nicht konsequent vollzogen wurde und daher noch unzählige Rinder in rechtswidriger Weise gehalten wurden, ändert nichts an der Rechtslage, sondern ist lediglich Symptom des notorischen Vollzugsdefizits im Tierschutzrecht. Demnach würde sich durch das neue Gesetz das gesetzlich etablierte Tierschutzniveau verschlechtern.

Die Anbindehaltung zu legalisieren verstieße gegen das in Art. 20a Alt. 2 GG verankerte Verschlechterungsverbot. Danach ist eine Absenkung des Tierschutzniveaus durch den Gesetzgeber ausgeschlossen, soweit sie den Kerngehalt des einfachen Rechts unterschreitet, wie er zum Zeitpunkt der Einfügung des Art. 20a Alt. 2 GG im Jahr 2002 bestand.4) Das seit 1972 im TierSchG enthaltene Verbot artwidriger Bewegungseinschränkung ist dem tierschutzrechtlichen Kerngehalt zuzurechnen, weil ihm nicht nur eine der ersten Normen des TierSchG eine herausgehobene Stellung einräumt, sondern auch, weil es sich um die „Grundvorschrift über die Tierhaltung“5) handelt. Der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass das Vertrauen der Tierhalterinnen in die Erlaubtheit der Anbindehaltung zu schützen wäre. Denn zum einen ist das Vertrauen in eine bekanntermaßen rechtswidrige Praxis nicht schutzwürdig. Zum anderen lassen sich beim Vollzug des Verbotes adäquate Lösungen finden, die sich danach ausrichten, wie schnell im Einzelfall ein Ausstieg aus der Anbindehaltung umsetzbar ist – statt pauschal davon auszugehen, dass Umbauten erforderlich sind, die zehn Jahre dauern sollen.

Die sogenannte saisonale Anbindehaltung soll nach § 21 Abs. 1a S. 2 des Entwurfs sogar über die zehn Jahre hinaus zulässig sein, ohne dass eine Höchstfrist näher bestimmt wäre. In dieser Haltungsform sind die betreffenden Rinder an 245 Tagen pro Jahr in ihrer artgemäßen Bewegung so eingeschränkt, dass ihnen Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Damit verstößt diese Praxis zwar nicht ganzjährig, aber an ebenjenen 245 Tagen schon bisher gegen § 2 Nr. 2 TierSchG, so dass auch insoweit eine nicht zu rechtfertigende Verschlechterung droht, wie sie Art. 20a Alt. 2 GG verbietet. Hinzu kommt, dass § 21 Abs. 1a S. 2 Nr. 2 die Zulässigkeit daran knüpft, dass die Anbindehaltung bereits vor Inkrafttreten praktiziert wurde und so die bestehende (rechtswidrige!) Praxis pauschal gegenüber neuen Betrieben privilegiert. Dass hierin eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegen dürfte, zeigt eine Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs in einer ähnlichen Konstellation, die die Kastenstandhaltung von Schweinen betraf.6)

Der Verstoß, der keiner ist

Ein weiteres zentrales Anliegen des Gesetzesvorhabens ist, den illegalen Heimtierhandel auf Online-Plattformen zu bekämpfen. Um die Täter besser identifizieren zu können, sieht § 11d Abs. 1 S. 1 des Entwurfs vor, dass Anbieter von Tieren der Online-Plattform ihren Namen und ihre Anschrift mitteilen müssen. Der Gesetzgeber erwartet also offenbar, dass kriminelle Akteure, die in mafiösen Strukturen Welpen über Staatsgrenzen schmuggeln, sich davon beeindrucken lassen, einen Namen und eine Anschrift angeben zu müssen. Wie die Erfahrungen in anderen Bereichen organisierter Kriminalität zeigen, führt die Erhebung nicht verifizierter Daten dazu, dass die erhobenen Daten weitgehend wertlos sind, weil gerade die Personen, auf die solche Regelungen abzielen, nicht davor zurückschrecken, falsche oder unvollständige Angaben zu machen.7) Statt unnötig in die Datenschutzbelange redlicher Marktteilnehmerinnen einzugreifen, wäre es daher geboten, entweder den Online-Handel mit Heimtieren bis auf wenige Ausnahmen zu verbieten – wie etwa in Frankreich8) und Österreich9) – oder ein Identifikationsverfahren mit ernstzunehmendem Fälschungsschutz einzuführen – etwa nach dem Vorbild der §§ 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten.

Gegen die auch vom Bundesrat angemahnte (BT-Drs. 20/12719, S. 114 f.) Einführung eines fälschungssicheren Identifikationsverfahrens bringt die Bundesregierung vor, dass eine solche Regelung gegen Art. 8 des Digital Services Act (DSA) verstoßen würde und daher unionsrechtswidrig wäre (BT-Drs. 20/12719, S. 140). Nach Art. 8 DSA sollen Anbieter von Vermittlungsdiensten nicht allgemein verpflichtet werden, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten. Sowohl aus der systematischen Stellung im Kapitel zur Haftung für rechtswidrige Inhalte als aus dem Wortlaut der Vorschrift ist ersichtlich, dass sie sich auf die Prüfung der Rechtswidrigkeit von Inhalten bezieht,10) aber keineswegs Pflichten von Diensteanbietern entgegensteht, Daten zur Identität ihrer Nutzer zu erheben, zu prüfen und zu speichern. Der DSA sieht sogar selbst solche Pflichten in Art. 30 vor.

Eine nationale Pflicht zur Identitätsprüfung beim Online-Handel mit Tieren verstieße auch nicht deshalb gegen den DSA, weil er dem Grundsatz der Vollharmonisierung folgt und daher in seinem Anwendungsbereich keine abweichenden nationalen Regelungen zulässt. Nach Erwägungsgrund 9 S. 3 DSA sind abweichende nationale Rechtsvorschriften insoweit zulässig, als sie einem anderen berechtigten öffentlichen Interesse dienen als der DSA.11) Der Tierschutz ist als berechtigtes öffentliches Interesse im Unionsrecht gemäß Art. 13 und 36 S. 1 AEUV explizit anerkannt und kein Regelungszweck des DSA. Speziell für die Rückverfolgbarkeit von Unternehmern auf Online-Verkaufsplattformen räumt Erwägungsgrund 72 UAbs. 2 DSA Spielräume für andere nationale Regelungszwecke ein, wozu etwa die Strafverfolgung gezählt wird.12) Weitergehende nationale Vorgaben zur Identitätsprüfung beim Online-Handel mit Tieren wären daher zulässig, um den illegalen Heimtierhandel zu bekämpfen.

Die Strafbarkeit des Versuchs, nicht des Tierversuchs

Beachtliche strukturelle Änderungen sieht der Gesetzesentwurf für den Straftatbestand der Tierquälerei in § 17 TierSchG vor. Die Vorschrift soll um drei Qualifikationsvarianten, die Versuchsstrafbarkeit und die Strafbarkeit leichtfertiger Tatbegehung erweitert werden. Während die Qualifikation ursprünglich mit einem Mindeststrafmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht sein sollte, ist der Strafrahmen im jetzigen Entwurf nach unten offen und alternativ eine Geldstrafe möglich, so dass der Strafrahmen für die Qualifikation den Strafrahmen des Grundtatbestands vollständig einschließt.

Die vorgeschlagenen Änderungen haben unerwartet hohe Wellen im Tierversuchsrecht geschlagen. Dort kann nämlich die Tötung auf Vorrat gehaltener Tiere, die sich nicht für Tierversuche eignen, den Straftatbestand der Tierquälerei in § 17 TierSchG erfüllen, wenn alternative Lösungen vorhanden sind. Das war schon bisher so und würde sich durch die Neuregelung auch nicht ändern. Nach der Intention der Bundesregierung sollte das Tierversuchsrecht bei der Reform des TierSchG außen vor bleiben. Widerstand regte sich jedoch aus den Reihen der tierversuchsbasierten Forschung gegen das erhöhte Strafmaß der Qualifikation, die – vorausgesetzt, der Grundtatbestand ist erfüllt – regelmäßig in ihrer dritten Variante greifen würde („in Bezug auf eine große Zahl von Wirbeltieren“). Wenn hingegen an mancher Stelle zu lesen war, dass in Zukunft Tierversuche unter Strafe stehen sollen (wie hier und hier), kann man sich das eigentlich nur damit erklären, dass die vorgesehene Versuchsstrafbarkeit im neuen § 17 Abs. 3 TierSchG („Der Versuch ist strafbar“) zu wörtlich genommen wurde.

Die damit entzündeten Nebelkerzen haben nun bewirkt, dass das BMEL eine Aussage zur Tötung der sogenannten überzähligen Versuchstiere nicht nur in die Gesetzesbegründung zur TierSchG-Novelle aufgenommen hat (BT-Drs. 20/12719, S. 73), sondern auch in einem neuen § 28a in die Tierschutz-Versuchstierverordnung einfügen will. Ohne an dieser Stelle näher hierauf eingehen zu können, weichen die dafür formulierten Kriterien von denjenigen ab, die sich aus dem Erfordernis eines vernünftigen Grundes nach den höherrangigen §§ 1, 17 Nr. 1 TierSchG ergeben. Die entsprechende Verordnungsänderung verstieße daher gegen den Vorrang des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG.

… und die Tiere?

Bei der Aussprache zur ersten Lesung des Gesetzesentwurfs konnte man den Eindruck gewinnen, die Zukunft des Tierschutzes in Deutschland hinge allein von politischen Erwägungen ab, vor allem davon, welche Interessen im Entscheidungsprozess am stärksten vertreten sind. Dass es aber gerade auch um rechtliche Fragen geht, haben die drei angesprochenen Regelungsvorschläge exemplarisch gezeigt. Die Liste ließe sich fortsetzen: So liegt die Wirkung der in § 11b Abs. 1a geplanten Liste an Qualzuchtmerkmalen völlig im Dunkeln („können mit […] verbunden sein“); die Rückausnahme zum Verbot von Wildtieren in Zirkussen im geplanten § 11 Abs. 4 S. 3 hat schon nach der Gesetzesbegründung keinen Anwendungsbereich, da „eine artgerechte Haltung dieser Tierarten an wechselnden Orten in der Praxis nicht gewährleistet werden kann“ (BT-Drs. 20/12719, S. 59); und zahlreiche Fragen werden auf Rechtsverordnungen verschoben, deren Erlass höchst ungewiss scheint, wenn etwa § 21 Abs. 1a S. 2 davon ausgeht, dass eine Rechtsverordnung nach § 2b Abs. 2 oder Abs. 3 nicht vor dem Ablauf von zehn Jahren ergehen wird.

Die Beispiele zeigen aber auch, dass der Gesetzgeber um kleinteilige Einzeländerungen ringt, statt eine Zukunftsvision des Mensch-Tier-Verhältnisses zu entwickeln, die den Wirkungen der industriellen Tierhaltung auf Umwelt, Klima, menschliche Gesundheit und nicht zuletzt auf die Menschlichkeit einer Gesellschaft Rechnung trägt. In bemerkenswerter Voraussicht gebietet Art. 20a GG Alt. 2 GG, dass der Staat auch die Tiere „in Verantwortung für die künftigen Generationen“ schützt. Dass Tierschutz auch Menschenschutz ist, ist also in der Verfassung verankert, wird als Komponente des Staatsziels allerdings bisher kaum beachtet. Das gibt Anlass, über einen Paradigmenwechsel im Hinblick auf den rechtlichen Status von Tieren nachzudenken. Bevor es zu spät ist, sollten sich die anstehenden Ausschussberatungen jetzt um zukunftsfähige Regelungen bemühen, statt halbgare Kompromisse zu verwursten.

Leave a Comment

x