Harvard Under Attack – Go Health Pro

Was wir aus jüngst eingereichten Klageschriften gegen die US-Regierung über Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit in den USA lernen können

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vergeht kaum eine Woche, in der wissenschaftliche Einrichtungen nicht attackiert werden. Den Auftakt bildeten im Januar 2025 eine Fülle an executive orders des Präsidenten, mit denen Programme für „diversity, equity, inclusion“ als illegal und unmoralisch erklärt und Maßnahmen gegen Antisemitismus an US-Universitäten angekündigt wurden. In der Folge hat die US-Regierung in erheblichem Umfang Bundesmittel zur Forschungsförderung, in der Regel kompetitiv eingeworbene grants für naturwissenschaftliche Spitzenforschung, „eingefroren“. Zudem wurden bundeseigene Forschungseinrichtungen auf drastische Weise beschnitten und Personal entlassen. Anfang Februar kündigte das Justizministerium an, eine Taskforce gegen Antisemitismus an Universitäten unter Beteiligung des Erziehungsministeriums und des Gesundheitsministeriums zu bilden; fünf Universitäten wurden als besonders problematisch benannt. Anfang März bekamen 60 Universitäten Vorwarnungen, dass sie mit einer Einstellung von Bundeszuschüssen rechnen müssten, wenn sie ihren Verpflichtungen aus Title VI des Civil Rights Acts nicht nachkämen.

Konkret traf es als erste Universität dann die Columbia University, der neun Auflagen gemacht wurden. Deren bedingungslose und umfassende Erfüllung wurde zur Voraussetzung für den Eintritt in weitere Verhandlungen erklärt. Dazu gehörte eine Neuorganisation der Disziplinarverfahren – das für Disziplinarmaßnahmen zuständige Organ sollte seine Anbindung an den akademischen Senat verlieren und letztlich dem Universitätspräsidenten unterstellt werden. Das Department for Middle East, South Asian, and African Studies sollte unter besondere Aufsicht gestellt werden, also seiner akademischen Selbstverwaltungsrechte verlustig gehen. Verlangt wurden ferner weitreichende Reformen bei der Personalrekrutierung und im Kursprogramm, um eine höhere „intellektuelle Diversität“ sicherzustellen. Die Columbia University erklärte sich bereit, den Forderungen nachzukommen. Von der Regierung eingefrorene Mittel wurden gleichwohl nicht freigegeben.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat die Harvard University nun einen anderen Weg als die Columbia University eingeschlagen und sich, nach erfolglosen Gesprächen mit der US-Regierung, am 21. April 2025 gegen deren Forderungen gerichtlich zur Wehr gesetzt. Zehn Tage vorher hatte schon das Harvard Faculty Chapter der American Association of University Professors (AAUP) um gerichtlichen Rechtsschutz ersucht. Ziel ist die Fortzahlung von Bundesmitteln und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Regierungshandelns.

Mit dem Vorgehen der US-Regierung aufgeworfene rechtliche Fragen

Die Schriftsätze sind überaus aufschlussreich und auch für ein deutsches Publikum interessant: Sie führen in die Tiefen des amerikanischen Subventionsrechts, veranschaulichen dessen Verzahnung mit Aspekten des Diskriminierungsschutzes und illustrieren dessen prozedurale Einhegungen. Folgt man den Schriftsätzen, wurden sämtliche rechtsstaatliche Verfahrensstandards seitens der US-Regierung ignoriert. Das korrespondiert mit Beobachtungen zum Regierungshandeln auf anderen Feldern: Die Regierung agiert in den ersten 100 Amtstagen nicht im Rahmen des aus Ungarn oder Polens unter der PiS-Regierung bekannten Konzepts des legalen Autoritarismus, in dem Prinzipien liberaler Demokratie unter Nutzung der formalen Handlungsformen des Rechtsstaates unterwandert werden, sondern kalkuliert den offenen Rechtsbruch mit ein – und schaut dann, wer sich einschüchtern lässt und klein beigibt.

Der Fall Harvard zeigt aber auch rechtssystematische Probleme im Schutz der Wissenschaftsfreiheit in den USA wie unter einem Brennglas. Denn anders als in Deutschland ist die Wissenschaftsfreiheit dort nicht eigens verfassungsrechtlich geschützt. In der Vergangenheit spielten vor allem von der AAUP orchestriertes Soft Law und arbeitsvertragliche Vereinbarungen eine zentrale Rolle.1) Diese Regelungstechniken verorten den Konflikt um Wissenschaftsfreiheit primär zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Davon unabhängig hat der US Supreme Court Mitte der 1960er-Jahre die Wissenschaftsfreiheit als First Amendment value anerkannt.2) Doch was genau daraus folgt, wer geschützt ist und wie weit der Schutz – insbesondere gegenüber der staatlichen Legislative und Exekutive – reicht, ist alles andere als klar. Die Rechtsprechungspraxis in den USA bietet ein heterogenes Bild und weicht teilweise erheblich von den AAUP-Standards ab. Entsprechend fallen denn auch die Ausführungen zur Wissenschaftsfreiheit in den Schriftsätzen vergleichsweise schwach aus. Eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit ist halt im US-Kontext weit weniger greifbar als Verstöße gegen gesetzliche Verfahrensvorgaben.

Hinzu kommt, dass es vorliegend nicht um klassische Grundrechtseingriffe geht, sondern um die Verweigerung von finanziellen Leistungen. Für solche Konstellationen hat sich in den USA die Doktrin der unconstitutional condition herausgebildet, die der Gestaltung von Förderbedingungen Grenzen setzt.

Die US-Regierung macht nun geltend, dass Harvard – und andere Universitäten – gegen Title VI des Civil Rights Acts verstießen, indem sie als „Brutstätten für Antisemitismus“ dienten. Das wirft allerlei verfassungsrechtliche Fragen auf: Wie verhalten sich Diskriminierungsverbote des Civil Rights Acts zum Schutz des ersten Zusatzartikels genau? Kann die US-Regierung von Förderempfängern verlangen, dass diese Rede verbieten, die ihrerseits vom First Amendment geschützt ist? Inwieweit darf sie Förderbedingungen aufstellen, um Einfluss auf Organisationsentscheidungen des Zuwendungsempfängers zu nehmen? Kann die Regierung, wenn sie eine Förderzusage unter Verweis auf Title VI widersprechendes Organisationsgebaren widerruft, dies mit Ereignissen und Universitätsentscheidungen begründen, die keinen Bezug zum geförderten Projekt aufweisen? Oder ist ein Förderausschluss nur möglich, wenn es im Förderprojekt selbst zu Diskriminierungen kommt?

Verfahrensregelungen im U.S. Code und im Code of Federal Regulations

Werfen wir zunächst einen näheren Blick auf die verfahrensrechtliche Ummantelung von Title VI des Civil Rights Acts von 1964, dessen Bestimmungen sich heute in 42 U.S. Code § 2000d ff. finden. In § 2000d heißt es:

„No person in the United States shall, on the ground of race, color, or national origin, be excluded from participation in, be denied the benefits of, or be subjected to discrimination under any program or activity receiving Federal financial assistance.“

Antisemitismus wird unter „race“ oder „national origin“ subsumiert.

Die nähere Umsetzung dieses Diskriminierungsverbotes ist in Durchführungsbestimmungen geregelt, die der präsidialen Billigung bedürfen. Für diese Durchführungsbestimmungen setzt § 2000d-1 einen allgemeine Rahmen. Demnach kommt die Ablehnung oder Einstellung einer Förderung wegen Verstoßes gegen Title VI erst in Betracht, wenn bestimmte prozedurale Schritte unternommen wurden: 1.) Es bedarf einer Anhörung der Betroffenen und 2.) einer ausdrücklichen schriftlichen Feststellung des maßgeblichen Verstoßes. 3.) Vorrangig sollen Behörden Antragsteller bzw. Geförderte beraten und auf eine freiwillige Anpassung an die Vorgaben des Diskriminierungsverbotes hinwirken. 4.) Über die geplante Ablehnung eines Antrags auf Bundezuschüssen oder Zahlungseinstellung sind die zuständigen Ausschüsse beider Häuser des Kongresses zu informieren. 5.) Frühestens 30 Tage nach einer solchen Berichterstattung können Maßnahmen wegen Verletzung von Title VI wirksam werden. 6.) Die Ablehnung oder Beendigung ist zudem auf das Programm oder den Einrichtungsteil zu beschränken, für das oder den ein Diskriminierungsverstoß festgestellt wurde.

Weitere Durchführungsbestimmungen finden sich im Code of Federal Regulations (CFR), der allgemeine Zahlungsbestimmungen und eine Pflicht zur fortlaufenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit enthält (2 CFR § 200.300) sowie daneben für einzelne Ministerien und ihre Agencies besondere Detailregelungen, so etwa für die National Science Foundation in Title 45, Subtitle B, Chapter VI, Part 611. In diesen Detailbestimmungen für die einzelnen Departments und Agencies werden die Verfahrensvorgaben aus 42 U.S. Code § 2000d-1 aufgenommen, weiter ausgestaltet und Beispiele für diskriminierende Praktiken genannt.

In der Gesamtschau findet man ein feingewobenes, detailreiches Verfahrensrecht, das eine Vielzahl an prozeduralen Sicherungen bereithält und hohe Hürden aufstellt, will eine Behörde unter Verweis auf Title VI eine Förderung einstellen oder ablehnen.

Im Falle von Harvard (wie übrigens auch im Falle von Columbia und weiterer betroffener Hochschulen) wurde keine der gesetzlichen Bedingungen beachtet. Zahlungen wurden ohne Weiteres eingestellt; eine belastbare Begründung wurde jenseits des pauschal gehaltenen Vorwurfs, Antisemitismus zu dulden und zu befördern, nicht geliefert; die schriftliche Benachrichtigung des Kongresses unterblieb.

Die Regierung dürfte nun einwenden, man habe ja Zahlungen nur eingefroren, das sei weder eine Beendigung („termination“) noch eine Ablehnung („refusal“) im rechtstechnischen Sinne. Man könnte zudem überlegen, ob nicht die von der Regierungstaskforce aufgestellten Forderungskataloge gleichsam die vom Gesetz geforderte Beratung darstellen.

Solche Einwände dürften eine funktionierende Justiz kaum überzeugen: Die Verfahrensregeln sollen durch klar benannte Fristen, den Vorrang von Beratung und freiwilligen Anpassungen, die Begründungsanforderungen, die Begrenzung der Wirkung auf konkret diskriminierende Projekte und Einrichtungsteile verhindern, dass Title VI als Machtmittel eingesetzt wird, um mittels Zahlungsverweigerung unbotmäßigen Einfluss zu nehmen. Im Code of Federal Regulations werden kleinteilig einzelne verbotene diskriminierende Handlungen aufgeführt. Diese Aufzählung ist nicht abschließend, gibt aber doch einen Hinweis auf die von der Regierung geforderte Begründungsdichte: Es müssen konkrete Aktionen und Vorkommnisse benannt werden. Dem ist die US-Regierung, folgt man den vorliegenden Dokumenten, nicht im Ansatz nachgekommen. Entsprechend ist schon der rechtlich geforderte Sachzusammenhang zwischen einem vom Förderstopp betroffenen, in der Regel naturwissenschaftlichen Forschungsvorhaben und einer antisemitischen Diskriminierung nicht dargelegt.

Identitätspolitischer Kontext: Antisemitismus, intellektuelle Diversität, DEI

Die Regierung bezieht sich vielmehr pauschal auf Campusproteste seit Oktober 2023. Gerade im Zusammenhang solcher politischen Proteste ist aber sehr genau zwischen bloßer Kritik am israelischen Regierungshandeln und israelbezogenem Antisemitismus zu unterscheiden – eine Grenzziehung, die im Detail diffizil und umstritten ist. Selbst wenn man sich ausschließlich die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu eigen macht, bleibt es eine Obliegenheit der Regierung, konkrete Tatsachen und Vorfälle zu benennen und zu bewerten, wenn sie eine Verletzung von Title VI geltend machen will.

Auffällig ist zudem, dass die US-Regierung nicht auf Anpassungen eingeht, die Harvard in den letzten zwei Jahren (u.a. infolge eines gerichtlichen Vergleichs im Januar 2025) schon vorgenommen hat: Disziplinarverfahren wurden gestrafft; für Hörsäle, Bibliotheken, Wohnheime und Mensen wurde ein Demonstrationsverbot erlassen; Regeln zu Einschüchterung und Belästigung wurden nachgeschärft (vgl. Rn. 46 ff. der Klageschrift); die IHRA-Definition von Antisemitismus wurde für Harvard als maßgeblich erklärt.

Mit dem Mangel an spezifischen Vorwürfen korrespondiert, dass etliche Forderungen der Regierung gegenüber den Universitäten überaus vage ausfallen, etwa die nach mehr „viewpoint diversity“. Die von den Universitäten geforderten Maßnahmen sind zudem widersprüchlich: Einerseits wird kritisiert, dass DEI-Programme eine meritokratische Einstellungspraxis behindern, also ihrerseits diskriminierend wirken, andererseits wird gefordert, durch eine an politischen Ideologien orientierte Zulassungs- und Einstellungspolitik mehr Diversität auf dem Campus herzustellen.

Nun mag es mit Blick auf die Humanities und Social Sciences an den nordamerikanischen Universitäten zuweilen durchaus Anlass geben, kritisch nach der intellektuellen Diversität, nach Methodenvielfalt, nach einem allzu homogen wirkenden Setting an Vorverständnissen zu fragen. Diversität kann einen Beitrag zur Qualitätssicherung akademischer Forschung und Lehre leisten. Folgerichtig ist das Ringen um intellektuelle Diversität eine originär akademische Aufgabe. Ihre Sicherstellung muss vom Wissenschaftssystem selbst geleistet werden. Genau wegen der epistemischen Funktion haben folgerichtig auch von der Regierung bekämpfte DEI-Aktivitäten ihre grundsätzliche wissenschaftsspezifische Berechtigung.

Title VI des Civil Rights Acts kommt hingegen erst dort ins Spiel, wo im Rahmen geförderter Vorhaben handfeste Diskriminierungen im Hinblick auf die pönalisierten Diskriminierungsmerkmale zu beobachten sind. Weil es an entsprechenden belastbaren Feststellungen seitens der Regierung bislang fehlt, drängt sich der Verdacht auf, dass es der Regierung weniger um Antisemitismus auf dem Campus geht – eine Herausforderung, die Harvard gar nicht leugnet –, sondern um eine Verschärfung des seit Jahrzehnten in den USA tobenden Kulturkampfs, um ideenpolitische Einflussnahme auf dem Campus, ja Domestizierung von Milieus und Institutionen, die von Regierungsvertretern im Wahrnehmungsraster politischer Polarisierung wahlweise als „progressiv“, „woke“, „links“ oder „marxistisch“ beschrieben werden. Damit stellt sich eindringlich die Frage, ob nicht die Garantie freier Rede im ersten Zusatzartikel und die Wissenschaftsfreiheit genau vor solchen Einschüchterungen und Einflussnahmen schützen sollen.

Wissenschaftsfreiheit und der erste Zusatzartikel der US-Verfassung

Das führt uns zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit in den USA, ein Gebiet, das recht unübersichtlich ist und von widersprüchlichen Akzenten in der Rechtsprechung geprägt ist.

Festhalten kann man zunächst, dass der US-Supreme Court (in Aufarbeitung eigener Unzulänglichkeiten im Freiheitsschutz in der McCarthy-Ära) academic freedom als „special concern“ des ersten Zusatzartikels anerkannt hat. Kanonisiert sind insbesondere die Entscheidungen in der Rechtssache Sweezy v. New Hampshire (1957) und Keyishian v. Board of Regents (1967). In Keyishian heißt es (385 U.S. 603):

„Our Nation is deeply committed to safeguarding academic freedom, which is of transcendent value to all of us, and not merely to the teachers concerned. That freedom is therefore a special concern of the First Amendment, which does not tolerate laws that cast a pall of orthodoxy over the classroom.“

Diese Leitentscheidung geht nicht weiter darauf ein, was genau unter Wissenschaftsfreiheit zu verstehen ist, welcher Schutz damit genauer einhergeht und/oder welches Verhalten dazuzählt. Einen Anhaltspunkt bietet Justice Felix Frankfurter in seiner concurring opinion in der Rechtssache Sweezy, wo er vier fundamentale Freiheiten der Universitäten betont (bemerkenswerter Weise unter Verweis auf eine Schrift gegen Apartheidspolitik an südafrikanischen Universitäten): Eine Hochschule hätte das Recht „to determine for itself on academic grounds who may teach, what may be taught, how it shall be taught, and who may be admitted to study“ (354 U.S. 263).

Eine klare Dogmatik der Wissenschaftsfreiheit hat sich in der Folge allerdings nicht ausgebildet: Teils wird der institutionelle Schutz besonders betont, auch im Gegenüber zur faculty, den Lehrenden, teils eine individualschützende Dimension gänzlich bestritten (berühmt-berüchtigt Urofsky v. Gilmore von 2000). Zuweilen wird in Entscheidungen die academic freedom ohne Bezug zum ersten Zusatzartikel erwähnt, teils nur der Schutz der freien Rede ohne Erwähnung der Wissenschaftsfreiheit. Die Lehrfreiheit wird, abweichend vom AAUP-Standard, in der Tendenz der Institution, nicht aber dem einzelnen Lehrenden zugestanden. Mitbestimmungsrechte des wissenschaftlichen Personals sollen der Wissenschaftsfreiheit nicht zwingend zu entnehmen sein, ebenso wenig Anhörungsrechte bei Nichtverlängerung von Arbeitsverträgen oder bei Verweigerung des tenure. Beides wird in der Praxis durch arbeitsvertragliche Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen der Universitäten gesichert. Bis heute umstritten ist zudem, inwieweit an staatlichen Universitäten die akademische Freiheit für Lehrpersonal im Vergleich zu den sonstigen öffentlichen Bediensteten einen Sonderstatus schafft und dies die Anwendung der Doktrinen für public employee speech ausschließt, die ihrerseits die Redefreiheit im öffentlichen Dienst begrenzen. Übertrüge man diese Beschränkungen umstandslos auf die staatlichen Hochschulen, bliebe von der Wissenschaftsfreiheit wenig übrig.3)

Einen eigenständigen Anspruch auf staatliche Förderung verschafft die Wissenschaftsfreiheit nach einhelliger Meinung nicht; auf Zuwendungen besteht kein right, sie sind ein privilege. Verfassungsrechtliche Grundlage für Bundeszuschüsse zu Forschungszwecken bildet die spending clause in Art. I, Sec. 8, Clause 1 der Bundesverfassung, die seit der Zeit des New Deal extensiv verstanden wird und dem Kongress weites Ermessen einräumt, förderungswürdige Wohlfahrtsbelange zu identifizieren und entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Festlegung der Details wird üblicherweise an die Regierung delegiert, die dann im Einzelnen Förderzwecke und -bedingungen festlegen kann.

Hierbei muss sie, so der US-Supreme Court, den Belangen des ersten Zusatzartikels entsprechen. Für die Förderung darf keine „unconstitutional condition“ aufgestellt werden; die Regierung darf Zuwendungen nicht missbrauchen, um Geförderten eine bestimmte Meinung aufzudrängen oder ihnen die Unterstützung von Regierungspositionen abzunötigen. Die Grenzziehung zwischen legitimer Festlegung von Förderzweck und Ausschlussbedingungen einerseits und illegitimer Einflussnahme andererseits ist prekär – eine einheitliche Doktrin oder ein handhabbarer Test haben sich nicht ausgebildet.

So darf der Bund etwa die Nutzung von Jugendschutzfiltern verlangen, soweit mit Bundesmitteln der Internetzugang in öffentlichen Bibliotheken gefördert wird. Der Bund bestimmt dann lediglich, für welche genauen Zwecke Bundesmittel eingesetzt werden. Eine unconstitutional condition wäre es dagegen, würde die Antragsberechtigung auf Bibliotheken beschränkt, die generell solche Filter einsetzen. Dann ginge es nicht mehr um die Verwendung der Bundesmittel, sondern um Einflussnahme auf die allgemeine Politik der geförderten Institution. Der Staat darf auch nicht verlangen, dass die zu fördernde Einrichtung Regierungspositionen explizit befürwortet und sich zu eigen macht. So kann sie die Bezuschussung von AIDS-Hilfen nicht davon abhängig machen, dass die Geförderten Prostitution missbilligen.

Was bedeutet diese Rechtsprechung zur Wissenschaftsfreiheit und zu unconstitutional conditions nun für die Klageaussichten Harvards?

Unumstritten ist, dass der Bund mit Title VI des Civil Rights Acts im Grundsatz zulässige Ausschlusskriterien aufgestellt hat: Der Bund muss keine Vorhaben fördern, in denen es bei Nutzung der Bundesmittel zu Diskriminierungen kommt. Folgt man der bisherigen Rechtsprechung zu den unconstitutional conditions, ist der Ausschluss aber auf ein konkret gefördertes Projekt beschränkt, damit es zu keiner „überschießenden“ Einflussnahme kommt. Dazu passt die oben geschilderte Ausgestaltung des einfachen Rechts, das ebenfalls auf Diskriminierungen in konkreten Teileinrichtungen oder Vorhaben abstellt. Förderbedingungen sollen keinen Hebel bieten, um Universitäten generelle Politiken ohne Bezug zum geförderten Vorhaben abzuverlangen.

Nun könnte man einwenden, dass Title VI in bestimmten Fallkonstellationen letztlich doch die gesamte Universität verpflichtet: Wenn ein universitäres Department oder Institut einen Bundeszuschuss erhält und damit zum Beispiel Personalausgaben deckt, ist nicht nur die Leitung der begünstigten Einrichtung an das Diskriminierungsverbot gebunden, sondern es werden auch alle weiteren Organisationseinheiten der Hochschule zur Nichtdiskriminierung im Hinblick auf die geförderten Aktivitäten verpflichtet (also etwa Bibliotheken, Labore im Nachbarinstitut, das Sportprogramm etc.). Das aus Bundesmitteln finanzierte Personal darf z.B. nirgendwo auf dem Campus diskriminiert werden. Dieses Argument findet auch Anhalt in Durchführungsbestimmungen wie 45 CFR § 611.5 Nr. 2.

Allerdings müsste auch bei dieser weiten Auslegung der Vorwurf antisemitischer Diskriminierungen im Zusammenhang mit vom Bund geförderten Projekten substantiiert werden. Ferner sind von der Universität bereits ins Werk gesetzte Reformen zu berücksichtigen. Insbesondere aber sind beim Zuschnitt von Maßnahmen, die helfen sollen, Diskriminierungen abzustellen, gegenläufige Rechtspositionen zu berücksichtigen.

So stellt etwa die Forderung gegenüber der Columbia University, ein ganzes Department unter academic receivership (eine intensive Aufsicht durch die Hochschulleitung) zu stellen, einen massiven Eingriff in die institutionelle Unabhängigkeit einer privaten Universität dar. Ähnlich gelagert ist die Forderung der Trump-Administration, dass die über Disziplinarmaßnahmen entscheidenden Organe nicht unabhängig sein dürfen, sondern der Hochschulleitung unterstehen oder der Einfluss von Studierenden und Lehrenden ohne Tenure in solchen Gremien stark beschränkt werden sollen.

Verteidiger des Regierungshandelns mögen einwenden, dass es hier „nur“ um Organisationsmaßnahmen geht, expressive Freiheiten gar nicht unmittelbar berührt sind, der Schutz durch den ersten Zusatzartikel in solchen Konstellationen zweifelhaft ist. Tatsächlich weisen die Fallgruppen, in denen es bislang um die institutionelle Dimension der Wissenschaftsfreiheit als First Amendment concern ging, einen starken Bezug zum Bildungsauftrag der Universität (educational mission) auf, etwa in einer Leitscheidung zur affirmative action oder zur Exmatrikulation von Studierenden. In anderen Fallkonstellationen, etwa gesetzlichen Ansprüchen auf Informationsfreiheit gegen Universitäten, war die Berufung auf die Wissenschaftsfreiheit vor Gericht letztlich nicht erfolgreich.4)

Die Klage von Harvard bietet vor diesem Hintergrund Gelegenheit, die institutionelle Schutzwirkung der academic freedom als „special concern of the First Amendment“ weiter zu konturieren. Richtig verstanden schützt die Wissenschaftsfreiheit im US-Verfassungsrecht zumindest educational decisions in einem weiten Sinne. Dazu gehört auch die Freiheit der Universitäten, über Kompetenzen, Zusammensetzung und hierarchische Einbindung von Gremien zu entscheiden, die Studienangelegenheiten oder studentische Disziplinarmaßnahmen behandeln.

Soweit die Bundesregierung unmittelbar Anstoß an israelkritischen Campusprotesten der letzten beiden Jahre nimmt, sind vom ersten Verfassungszusatz geschützte Interessen ersichtlich berührt. Zwar sind vom Staat geförderte Privatuniversitäten im Binnenverhältnis zu ihren Studierenden und Mitarbeitenden nicht an die (weit reichende) Redefreiheit des ersten Zusatzartikels gebunden5), denn es fehlt am state act, der die Grundrechtsbindung auslöst. Private Universitäten können deshalb restriktivere Sprachregelungen als staatliche Hochschulen treffen, selbst wenn es sich um Äußerungen zu öffentlichen Angelegenheiten handelt.6) Insbesondere können private Akteure für ihren Bereich Hassrede regulieren, während dem Staat – folgt man der ständigen Rechtsprechung des US-Supreme Courts – weitgehend die Hände gebunden sind. Doch über das allgemeine Recht hinausgehende Redebeschränkungen (bestimmte Redekonstellationen wie die unmittelbare und direkte Bedrohung einer Person oder Verleumdungen sind vom ersten Zusatzartikel nicht erfasst) kann der Staat seinerseits nicht ohne Weiteres erzwingen. Schließlich handelt es sich um Entscheidungen, die die educational mission einer Universität im Kern berühren – und deshalb von der recht verstandenen Wissenschaftsfreiheit geschützt sind.

Harvard verweist zur Begründung seiner Klage u.a. auf eine aktuelle Entscheidung des US-Supreme Courts, die herausstreicht, dass die Regierung zwar eigene Standpunkte äußern und bewerben kann, sie ihre Amtsgewalt aber nicht dazu nutzen darf, um durch Sanktionsdrohungen oder anderen Zwang auf Bürger Einfluss zu nehmen, damit diese gleichsam für die Regierung unerwünschte Meinungen Dritter bestrafen oder unterdrücken. Man wird nun sehen, ob und wie Gerichte diese höchstrichterliche Rechtsprechung auf Subventionskonstellationen im akademischen Bereich übertragen.

Die Wissenschaftsfreiheit ist zudem unbestritten berührt, soweit die Bundesregierung auf die Rekrutierung des wissenschaftlichen Personals und die Zulassung von Studierenden Einfluss nehmen will und für „jedes Department“, „jedes Lehr- und Forschungsfeld“, „jede Unterrichtseinheit“ ein ausgewogenes Verhältnis ideologischer Standpunkte vorzuschreiben sucht. Schließlich schützt die Wissenschaftsfreiheit, in den kanonisierten Worten von Justice Frankfurter, die Entscheidung darüber, wer lehrt, was gelehrt wird und wer zum Studium zugelassen wird (s.o.). Hier geht es um den expressiven Kern akademischer Freiheit.

Für digitale Plattformen hat der US-Supreme Court schon festgehalten, dass der Staat Dritten nicht einfach seine Vorstellungen von viewpoint diversity aufnötigen darf. Gleiches sollte für die Wissenschaftsfreiheit gelten, die einerseits die Wissenschaftsgemeinschaft von unbotmäßiger politischer, ökonomischer und moralisch-ideologischer Einflussnahme von außen abschirmt, andererseits dem einzelnen Wissenschaftler innerhalb der Wissenschaftseinrichtung Forschungsfreiheit garantiert. Diese doppelte Schutzausrichtung ermöglicht die Austragung epistemischer Konflikte in methodischer Vielfalt und Divergenz der Forschungsinteressen. Autoritativ vom Staat festgelegte politisch-ideologische Diversitätsquoten sind hingegen mit der Leitidee von Wissenschaftsfreiheit schlechterdings unvereinbar – ganz davon abgesehen, dass hier, ähnlich wie bei den meisten angemahnten Organisationsreformen, kein hinreichender Zusammenhang mit den geltend gemachten Title VI-Verletzungen erkennbar ist.

Universitäten als market place of ideas – ein Grundprinzip unter Druck

Die Maßnahmen der Bundesregierung seit Januar 2025 werden vorgespurt und begleitet von weitreichenden Änderungen der Hochschulgesetze in einzelnen Bundesstaaten. Florida verabschiedete 2022 den sogenannten Anti-Woke-Act, der sich gegen DEI-Maßnahmen, aber auch inhaltlich gegen bestimmte Annahmen der Critical Theories richtete. In jüngster Zeit wurden in Ohio und Indiana weitreichende Änderungen der Hochschulgesetze vorgeschlagen bzw. verabschiedet. Besonders staatliche Universitäten sind betroffen: Boards of Trustees, eigentlich Vertretungen des öffentlichen Interesses, werden zum verlängerten Arm der Regierungen. Akademische Mitbestimmung („shared governance“) wird geschliffen und die Kompetenzen der präsidialen Leitungen werden gestärkt. Die Lehrfreiheit wird u.a. bei Bezug zu identitätspolitische Themen eingeschränkt. Das die Wissenschaftsfreiheit schützende System des „tenures“ wird unterminiert.

1967 hieß es in der US-Supreme Court Entscheidung in der Rechtssache Keyishian v. Board of Regents noch:

„The classroom is peculiarly the ‚marketplace of ideas‘. The Nation’s future depends upon leaders trained through wide exposure to that robust exchange of ideas which discovers truth ‚out of a multitude of tongues, [rather] than through any kind of authoritative selection‘.“

Betrachtet man die jüngere Entwicklung der akademischen Freiheit in den USA, drängt sich der Verdacht auf, dass ausgerechnet die politischen Kräfte, die traditionell als marktfreundlich gelten und für ein extensives Verständnis expressiver Freiheiten eintreten, dem Markt der Ideen nicht mehr viel zutrauen und deshalb nun mit den Machtmitteln des Staates intervenieren.

Ihr Gegeneinwand dürfte lauten, dass es sich um einen durch Vormachtstellungen gestörten Markt handelt, der der Neuordnung bedarf. Sie übersehen allerdings, um im ökonomiepolitischen Jargon zu bleiben, dass Wettbewerbsbehörden aus guten Gründen technokratisch verfasst, ein Stück weit entpolitisiert und als nichtmajoritäre Institutionen ausgestaltet werden. Das soll ihnen Glaubwürdigkeit und Akzeptanz verleihen.

Ganz anders sind dagegen die jüngsten Attacken auf wissenschaftliche Institutionen in den USA gelagert. Sie scheinen doch vom Eifer ideologischen Kulturkämpfertums geprägt. Ginge es ernsthaft um die Bekämpfung von Antisemitismus auf dem Campus, würde man gemeinsam mit den Universitätsleitungen geeignete Maßnahmen beraten, Best-Practice-Vergleiche anstellen, politischen Freiheitsrechten der Protestierenden und der Hochschulautonomie zumindest im Ansatz in Rechnung tragen. Ginge es ernsthaft um individuelle Chancengleichheit im Wissenschaftssystem, würde man eine kritische Inventur der DEI-Programme unterstützen, Wirkungsforschung betreiben, ihr epistemisches Potential wertschätzen, sie also nicht in Bausch und Bogen verdammen. Ginge es ernsthaft um intellektuelle Diversität, würde man nach Handlungsoptionen im Rahmen der vorhandenen Systeme wissenschaftlicher Qualitätskontrolle fragen, die Eigenlogik der Wissenschaften stärken und nicht einer (weiteren) politischen Ideologisierung der Campus das Wort reden.

Die nächsten Monate werden zeigen, welche Resilienzen das Wissenschaftssystem in den USA unter dem Eindruck bis vor kurzem noch für undenkbar gehaltener Übergriffe mobilisieren kann. Es bleibt abzuwarten, ob die Justiz ihrer Aufgabe innerhalb der Gewaltengliederung nachkommen und der Wissenschaftsfreiheit als „First Amendment concern“ Rechnung tragen wird. Das weitere Schicksal der Klage Harvards bildet für beides – eine autonome Wissenschaft und eine unabhängige Justiz – einen aufschlussreichen Indikator.

 

Der Verfasser arbeitet als Visiting Professor gegenwärtig an der Munk School of Global Affairs and Public Policy, University of Toronto, sowie an der Osgoode Hall Law School, York University, Toronto, rechtsvergleichend zu „free speech on campus“ in den USA, in Kanada und Deutschland.

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