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Die Rechte von Trans* und Inter* Personen vor österreichischen Höchstgerichten

Bis heute fehlen in Österreich gesetzliche Regelungen für die Änderung des Geschlechtseintrags von Trans* und Inter* Personen. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) und der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) haben die Voraussetzungen und Eintragungsmöglichkeiten entwickelt. Beide Gerichtshöfe vertraten dabei seit den 1990er Jahren eine progressive Linie: Trans* Personen dürfen im Identitätsgeschlecht heiraten, der Geschlechtseintrag darf unabhängig von einer bestehenden Ehe geändert werden, und operative Eingriffe sind keine Pflicht für eine Geschlechtsänderung. Auch intergeschlechtliche Personen haben das Recht, einen ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Geschlechtseintrag zu wählen oder auf den Eintrag zu verzichten. Nun scheint der VwGH seine fortschrittliche Haltung aufzugeben: Das Geschlecht einer Person sei zwingend einzutragen, grundsätzlich komme es dabei auf das biologische Geschlecht an. Grund genug, sich zu fragen, ob die Rechte von Trans*, Inter* und nicht-binären Personen in Österreich in Gefahr sind.

Anlassfall

Anlass für das Erkenntnis des VwGH war eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien: Eine transidente Person hatte beantragt, den Geschlechtseintrag im Geburtenbuch ersatzlos zu streichen. Eine psychotherapeutische Stellungnahme bescheinigte der Antragsteller*in ein seit früher Kindheit bestehendes „nachhaltiges Unbehagen mit wachsendem Leidensdruck im eigenen biologischen Geschlecht“ verbunden mit dem konstanten Wunsch, „nicht einem der binären Geschlechter männlich/weiblich zugeordnet zu werden“. Die zuständige Behörde wies den Antrag ab: Eine Änderung eines binären Geschlechtseintrags auf „divers“, „inter“, „offen“ oder die Streichung des Geschlechtseintrags sei nach der Durchführungsanleitung des Bundesministeriums für Inneres nur bei einer durch ein Fachgutachten bestätigten Intergeschlechtlichkeit möglich. Das VwG Wien hob diesen Bescheid auf und verfügte die Streichung des Geschlechtseintrags. Es begründete seine Entscheidung mit dem Erkenntnis des österreichischen VfGH zur dritten Geschlechtsoption (eingehend hier) und der Rechtsprechung des EGMR zur Anerkennung der Identität von Transpersonen und zu Intergeschlechtlichkeit. Dagegen richtete sich die Amtsrevision an den VwGH, der im Dezember 2024 die Entscheidung des VwG Wien schließlich wegen Rechtswidrigkeit aufhob.

Kein Recht auf Streichung des Geschlechtseintrags

Bereits zuvor hatten einzelne Landesverwaltungsgerichte für zulässig erklärt, dass auch transidente Personen ihren Geschlechtseintrag auf „divers“ bzw. auf „nicht-binär“ ändern (hier und hier). Dass transidenten Personen auch die ersatzlose Streichung des Geschlechtseintrags offensteht, wurde im Anlassfall zum ersten Mal verwaltungsgerichtlich festgestellt. Der VwGH verneinte das Recht auf (ersatzlose) Streichung des Geschlechtseintrags für transidente Personen aus drei Gründen: Erstens ging der VwGH davon aus, dass das österreichische Personenstandsgesetz (PStG) zur Eintragung des Geschlechts verpflichtet. Zweitens nahm der VwGH an, dass die Ausführungen des VfGH zum dritten Geschlechtseintrag nur für intergeschlechtliche, nicht aber für transidente Personen gelten. Und drittens vertrat der VwGH die Auffassung, dass für die Eintragung des Geschlechts „grundsätzlich“ das „biologische, körperliche Geschlecht“ (Rz. 50) maßgeblich sei.

Eintragungspflicht? Anerkennungspflicht!

Seine Ansicht, das PStG verpflichte zur Eintragung des Geschlechts, leitet der VwGH aus einer Reihe wörtlich zitierter Passagen des VfGH-Erkenntnisses zum dritten Geschlechtseintrag ab. Wesentlich erscheint dem VwGH vor allem folgender Satz (Rz. 36, vom VwGH durch Unterstreichung hervorgehoben):

„Stellt der Gesetzgeber […] für personenstandsrechtliche Zwecke in einem öffentlichen Register auf das Geschlecht als Personenstandsdatum ab, ist er durch Art. 8 EMRK grundsätzlich gehalten, eine Eintragung vorzusehen“.

Tatsächlich ist der Satz hier jedoch noch nicht zu Ende. Der VfGH führt vielmehr weiter aus: „die die jeweilige individuelle Geschlechtsidentität zu reflektieren vermag“ (Rz. 23). Es ist also nicht die Pflicht zur Eintragung, die der VfGH besonders betont, sondern die – aus Art. 8 EMRK erwachsende – positive Verpflichtung, die individuelle Geschlechtsidentität (im konkreten Fall: intergeschlechtlicher) Menschen anzuerkennen. Das PStG verlangt zwar grundsätzlich die Eintragung der Personenstandsdaten. Es setzt diese Pflicht aber nicht absolut. Dass eine Datumsangabe fehlt, wird durch das PStG nicht gänzlich ausgeschlossen: § 40 Abs 1 PStG erlaubt die Vornahme einer unvollständigen Eintragung, wenn eine vollständige Eintragung nicht möglich ist. Das gilt auch für das Datum „Geschlecht“. Dementsprechend nimmt der VfGH – anders als der VwGH – jedenfalls bei intergeschlechtlichen Menschen keine uneingeschränkte Eintragungspflicht an, sondern betont, dass Art. 8 EMRK sie davor schützt, ihr Geschlecht deklarieren zu müssen (Rz. 23).

Inter* ja, trans* nein?

Nach dem VwGH beziehen sich die Ausführungen des VfGH zur dritten Geschlechtsoption nur auf intergeschlechtliche, nicht aber auf transidente Personen. Der VfGH hatte sich zwar im Anlassfall mit Intergeschlechtlichkeit zu befassen und stellte seiner Entscheidung eine Unterscheidung zwischen Intergeschlechtlichkeit und Transidentität voran (Rz. 15). Er stellte allerdings auch fest, dass es Fälle der Transidentität gibt, bei denen jede Form der Geschlechtszuordnung abgelehnt wird (Rz. 15). Hinsichtlich der durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte betont der VfGH zudem ganz allgemein, dass sie Menschen mit einer „alternativen Geschlechtsidentität“ vor einer fremdbestimmten Geschlechtszuweisung schützen. Es ist daher keineswegs zwingend, dass die vom VfGH entwickelten Auslegungsgrundsätze auf die Situation transidenter Personen nicht anwendbar sind. Im Gegenteil: Eine Unterscheidung aufgrund des Geschlechts ist nach der Rechtsprechung des VfGH nur zulässig, wenn dafür besonders schwerwiegende Gründe vorliegen. Eine Unterscheidung zwischen transidenten nicht-binären Personen und Inter* Personen „nur aus Prinzip“ (dazu mit Blick auf die sexuelle Orientierung hier) wird sich daher aus gleichheitsrechtlicher Perspektive kaum aufrechterhalten lassen.

Nur Biologie?

Der VwGH hat seiner Entscheidung die Anmerkung angefügt, dass es für die Eintragung des Geschlechts grundsätzlich auf das biologische Geschlecht ankomme (Rz. 50). Die Bedeutung dieses ceterum censeo ist unklar (neu ist der Hinweis nicht, er findet sich bereits hier). Zweifellos sind die Anforderungen an eine Eintragung bzw. Änderung des Geschlechts sowohl bei Trans* als auch bei Inter* Personen an Art. 8 EMRK zu messen. Diesbezüglich hat der EGMR klargestellt, dass die Anerkennung des Geschlechts weder von einer Sterilisation noch von einem Eingriff oder einer Behandlung abhängig gemacht werden darf, die eine Sterilisation bewirken kann (hier und hier).

Schon zuvor hat der VwGH betont, dass eine Geschlechtsänderung bei Trans* Personen zwar eine „deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ verlangen kann, schwerwiegende operative Eingriffe wie die Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale aber gerade keine notwendige Voraussetzung sind (hier sowie hier und hier). Dass sich an dieser Auffassung etwas geändert hat (so aber hier), ist nicht anzunehmen: Der VwGH würde sich dadurch in einen klaren Widerspruch zur Rechtsauffassung des EGMR setzen. Zudem kann (zwingend) nur ein verstärkter Senat von einer bisherigen Rechtsprechung abgehen. Das war hier nicht der Fall, weswegen der Verweis auf das biologische Geschlecht nicht als Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs verstanden werden kann.

Und jetzt?

Mit seiner Entscheidung hat der VwGH den Menschenrechtsschutz zugunsten einer eklektizistischen Lesart des VfGH-Erkenntnisses zum Geschlechtseintrag von Inter* Personen und eines äußersten Formalismus hintangestellt. Für die Rechte von Trans* und Inter* Personen in Österreich ändert sich trotzdem erst einmal wenig: Inter* Personen haben die Möglichkeit, ihren Geschlechtseintrag auf „divers“, „inter“, „offen“ zu ändern oder ihn streichen zu lassen. Dabei wird auf das Vorliegen (körperlicher) Intergeschlechtlichkeit abgestellt. Auch Trans* Personen müssen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können, wenn ein „irreversibles Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht“ besteht und eine „deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ erfolgt ist. Ein schwerwiegender operativer Eingriff ist dafür auch weiterhin nicht notwendig. Verwehrt bleibt Trans* Personen dagegen die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag streichen zu lassen – und wahrscheinlich die Einträge „divers“, „inter“ und „offen“ (eine diesbezügliche Amtsrevision wurde vom VwGH abgewiesen, da die betreffende Person bereits verstorben war). Mit Blick auf die EMRK ist dieser Ausschluss problematisch: Art. 8 EMRK verpflichtet zur Anerkennung der Geschlechtsidentität von transidenten Personen (erstmalig hier). In seiner bislang einzigen Entscheidung zu Inter* Personen hat der EGMR zwar (noch) keine Verpflichtung der Vertragsstaaten angenommen, eine andere Geschlechtskategorie als „weiblich“ oder „männlich“ vorzusehen (kritisch dazu hier). Das bedeutet jedoch nicht, dass Staaten, die eine dritte Geschlechtskategorie überhaupt vorsehen, transidenten Personen den Wechsel in diese Kategorie verwehren dürfen. Ein solches Verbot wäre am Verhältnismäßigkeitsmaßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu messen. Welche zwingenden Gründe dafür sprechen sollen, transidenten Personen in einem solchen Fall zwar den Wechsel zu „weiblich“ oder „männlich“, nicht aber in eine dritte Kategorie zu erlauben, ist unklar.

From Russia with Love?

Die unmittelbaren Auswirkungen der VwGH-Entscheidung auf die Rechte von Trans* und Inter* Personen in Österreich dürften gering sein: Einmal mehr zeigt sich freilich die prekäre Situation geschlechtlicher Minderheiten in Österreich. Ihre Rechte wurden bislang ausschließlich im Wege der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sichergestellt. Nicht-binäre Menschen sind davon – folgt man der Lesart des VwGH – gar nicht erfasst. Die nachhaltige Weigerung der österreichischen Gesetzgebung, die Rechte von Trans*, Inter* und nicht-binären Menschen zu regeln, führt zu Unklarheiten und Unsicherheiten und zu einer regional unterschiedlichen Verwaltungspraxis. In einem derart sensiblen Bereich wie der Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität ist das besonders problematisch.

Dass die aktuellen Regierungsverhandlungen von einer Partei geführt werden, die entgegen medizinischer Erkenntnisse (siehe die Stellungnahme der Bioethikkommission zu Intersexualität und Transidentität hier) eine biologische Zweigeschlechtlichkeit am liebsten verfassungsgesetzlich verankern möchte, trägt wenig zur Beruhigung bei. Der Vorwurf, der VwGH habe Österreich „in eine Reihe mit Russland und Ungarn“ gestellt, wirkt gleichwohl überzogen: Weniger Formalismus und mehr Menschenrechtsorientierung wären dem Gerichtshof allerdings jedenfalls zu wünschen (und auch möglich). Bis dahin liegt der Schutz der Menschenrechte von Trans*, Inter* und nicht-binären Personen wieder einmal in der Hand des VfGH und des EGMR.

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