Für viele Absolvent:innen ist das Jurastudium nicht das Ende der juristischen Ausbildung. Das Referendariat (amtlich: der juristische Vorbereitungsdienst), das auf das zweite Staatsexamen vorbereitet, bedeutet einen anderen Modus der Ausbildung, die nun mehr von praktischer Arbeit geprägt ist. Referendar:innen treten in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis ein oder werden – in einigen wenigen Bundesländern – auf Probe verbeamtet. Dieser Ausbildungsabschnitt ist von geringer Bezahlung und mitunter hohen Kosten geprägt. An seinem Ende steht abermals ein belastendes Examen. Um mehr Chancengleichheit herzustellen, sind Reformen notwendig. Unsere Erfahrungen und Beispiele beziehen sich dabei auf Hamburg, sind aber vielfach verallgemeinerbar und bilden den umfassenden Reformbedarf im Referendariat bundesweit ab.
Bezahlung und Kosten
Als Absolvent:innen des Jurastudiums haben Referendar:innen keinen Zugang zur staatlichen Ausbildungsförderung mehr. Ein für die Chancengleichheit wesentlicher Aspekt ist deshalb die Bezahlung, die meist in Type einer sog. Unterhaltsbeihilfe geleistet wird. Sie bewegt sich in dem Spannungsfeld, das das ganze Referendariat prägt: Referendar:innen befinden sich in einem Ausbildungsabschnitt, leisten dabei aber auch Arbeit in ihren Stationen und unterliegen den Weisungen ihrer Dienststelle. Aus diesem Spannungsfeld und der Rechtsnatur des Referendariats als landesrechtlich geregeltes öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis „sui generis“ ergibt sich zunächst, dass Referendar:innen keinen Anspruch auf Mindestlohn haben. Bei der Höhe der Unterhaltsbeihilfe steht entsprechend der Ausbildungsaspekt im Vordergrund. Tatsächlich liegt die Unterhaltsbeihilfe oft weit unter dem Mindestlohn. In Hamburg etwa beträgt sie derzeit 1.243,07 € im Monat (eine Anhebung um insgesamt 340 € in zwei Schritten bis Februar 2025 ist aber bereits beschlossen, Besserung ist additionally in Sicht). Das entspricht in Vollzeit einem Stundenlohn von derzeit etwa 7,14 € brutto. Dazu kommen Kürzungen der Unterhaltsbeihilfe, die Hamburg und viele andere Bundesländer vornehmen, wenn Referendar:innen einer Nebentätigkeit nachgehen.
Gleichzeitig können Referendar:innen im Referendariat erhebliche Kosten entstehen, insbesondere für die Examensvorbereitung. Die Infrastruktur an dem Ort, an dem man lebt und sein Referendariat leistet, bedingt den Umfang dieser Kosten. Wer Zugang zu einer oder sogar mehreren intestine sortierten rechtswissenschaftlichen Bibliotheken mit ausreichender räumlicher Kapazität hat, muss ggf. weniger Geld für eigene Ausbildungsliteratur ausgeben als Referendar:innen, die in kleineren Städten ohne Universitätsbibliothek leben.
Die Kosten des Referendariats werden auch durch die zur Verfügung gestellte Ausstattung der Dienststellen und Stationen beeinflusst. Für Referendar:innen gibt es oft keinen oder nur einen sehr dürftigen Zugang zu juristischen Datenbanken. Ihnen wird in den Stationen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten üblicherweise weder ein Arbeitsplatz noch ein Arbeitsgerät gestellt. So bleibt es den Referendar:innen überlassen, auf eigene Kosten die Rahmenbedingungen erst zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, die erwarteten Arbeitsleistungen zu erbringen. Hier könnten die Dienststellen gegensteuern und die Belastung verringern, indem sie für eine angemessene Grundausstattung mit Arbeitsmitteln sorgen.
Ein Kostentreiber, der zu Beginn des Referendariats nicht immer offenkundig ist, sind darüber hinaus die Gebühren, die viele Bundesländer für die Wiederholung des Examens zur Notenverbesserung erheben. Schon für die Zulassung werden hohe dreistellige Gebühren fällig, hinzu kommen Gebühren für die Teilnahme an Klausuren- und Aktenvortragskursen. Dabei handelt es sich mit Blick auf die psychische Belastung, die die erneute Teilnahme am Examen für die Kandidat:innen ohnehin schon darstellt, um eine fragwürdige Praxis. Die Gebührengesetze der Länder lassen Ausnahmen von der Gebührenerhebung zu (etwa aus sozialen Gründen in Hamburg, § 6 Abs. 3 S. 1 GebG Hbg). Es erschließt sich nicht, warum Referendar:innen insofern schlechter behandelt werden als Studierende, für die die Wiederholung des ersten Examens nach dem „Freiversuch“ kostenfrei ist. Hinzu kommen für jeden Versuch dreistellige Beträge für den Kauf oder die Miete der erforderlichen Kommentarliteratur.
Familienfreundlichkeit und -vereinbarkeit
Die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind für Referendar:innen mit Kindern (in Hamburg sind etwa 5 % der Referendar:innen Eltern) besonders herausfordernd. Zwar gibt es mit dem Teilzeitreferendariat und einem Kinderzuschlag für die Unterhaltsbeihilfe einige erleichternde Modifikationen für Eltern im Referendariat.. Jenseits der Möglichkeit, die Arbeitszeit – und entsprechend auch die Unterhaltsbeihilfe – zu verringern fehlt es jedoch an Unterstützung im Teilzeitreferendariat.
Dienststellen sollten die Familienvereinbarkeit des Referendariats deshalb noch stärker priorisieren. Wünschenswert ist es, dass sie die nötige Flexibilität an den Tag legen und sich sensibel für die zeitliche Zusatzbeanspruchung von Eltern und Personen mit Betreuungspflichten zeigen. Dabei sollte es in jedem Bundesland verbindliche Handreichungen geben, die auf einen Blick deutlich machen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt und wie Familienfreundlichkeit organisiert werden kann. Dazu zählt die Beantragung von Elternzeit, aber auch die Berücksichtigung von Betreuungspflichten etwa bei der Zuteilung von Sitzungsdiensten in der Staatsanwaltschaft.
Prüfungsvorbereitung
Die Vorbereitung auf das am Ende des Referendariats stehende zweite Staatsexamen ist ein Einfallstor für Ungleichheiten. Die weiterhin beliebte Inanspruchnahme eines privaten Repetitoriums etwa ist mit hohen Kosten verbunden, die sich nicht alle Referendar:innen im gleichen Ausmaß leisten können.
Umso wichtiger ist es, dass die Dienststellen den Ausbildungscharakter des Referendariats ernst nehmen und umfangreiche, für unterschiedliche Lerntypen geeignete Angebote vorhalten. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf einheitliche Lehrmaterialien für alle AGs und Durchgänge gelegt werden, sodass es nicht vom Zufall abhängt, ob Referendar:innen brauchbare Materialien erhalten. Auch umfangreiche und mehrfach im Jahr stattfindende Wahl-AGs zur Vertiefung einzelner Rechtsgebiete sind mit Blick auf das Examen sinnvoll.
Positiv hervorzuheben ist die Einführung von Examens-Crashkursen zu Beginn dieses Jahres in Hamburg. Im Abstand von einigen Monaten zum Examen können alle Teilnehmenden eines Examensdurchgangs in Wochenendkursen bei Dozierenden aus dem Kreis der Prüfer:innen den examensrelevanten Stoff noch einmal wiederholen und punktuell vertiefen. Dadurch vermindert sich die zumindest gefühlte Abhängigkeit von privaten Angeboten.
Prüfungsformat
Schließlich gilt für das zweite – ähnlich wie für das erste – Staatsexamen, dass das Prüfungsformat reformbedürftig ist. Die Stoffdichte, die etwa in Hamburg noch nicht einmal durch eine Prüfungsgegenständeverordnung eingedämmt wird, und die Anzahl der Klausuren stellen eine enorme Belastung dar. Der Umfang der einzelnen Klausuren ist in den vergangenen Jahren zudem stetig gewachsen. Dass im vergangenen Jahr eine Streichung der Ruhetage im Examen diskutiert wurde, zeigt, dass auf Seiten der Justizministerien und Prüfungsämter die erforderliche Sensibilität für die Belastung der Examenskandidat:innen mitunter nicht hinreichend ausgeprägt ist. Diese Probleme gilt es anzugehen, etwa durch eine Reform der Prüfungsgegenstände, die für alle Bundesländer einheitlich sein sollten. Aus lernpsychologischen Gründen und zur Abmilderung des psychischen Drucks wäre es zudem sinnvoll, die Examensnote nicht ausschließlich von den auf zwei Prüfungswochen konzentrierten Klausuren und einer späteren mündlichen Prüfung abhängig zu machen, sondern kontinuierliche Leistungsnachweise in die Endnote einfließen zu lassen.
Allerdings gibt es mit der nahezu flächendeckenden Einführung des E-Examens auch constructive Entwicklungen. Das E-Examen wurde etwa in Hamburg positiv angenommen und wird hier und in anderen Bundesländern von der ganz überwiegenden Mehrheit der Examenskandidat:innen als Prüfungsformat gewählt. Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten, die sich bei einer solchen Umstellung wohl nicht vermeiden lassen, zeigt sich, dass das E-Examen ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es verringert den Einfluss der Handschrift und des Schriftbilds auf die Bewertung und ist zudem deutlich näher an der Berufsrealität.
Trotz einiger positiver Entwicklungen dürfen die vielfältigen Baustellen, vor denen das Referendariat steht, aber nicht aus dem Blick geraten. Sie erfordern politischen Reformwillen und gute Konzepte für ein Referendariat, in dem nicht Notendruck und prekäre Bedingungen, sondern Berufsorientierung und gute praktische Ausbildung bei angemessener Bezahlung im Vordergrund stehen.