Am 22.Oktober 2024 wurde der deutsche Botschafter in das russische Außenministerium einbestellt. Die Bundesrepublik, so der Vorwurf, habe den Zwei-Plus-Vier-Vertrag verletzt, indem sie NATO-Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiere. Ähnliche Vorwürfe waren von Demonstranten vor dem Tor der Hansekaserne in Rostock zu hören. An diesem Tag weihte Bundesverteidigungsminister Pistorius dort ein neues maritimes taktisches Hauptquartier ein.
„Washington, Brüssel und Berlin müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Ausweitung der militärischen Infrastruktur der Nato auf das Gebiet der ehemaligen DDR die negativsten Konsequenzen haben wird und nicht ohne entsprechende Reaktion der russischen Seite bleiben wird”, lautete die wenig verklausulierte Drohung im Protest des russischen Außenministeriums. Diese russische Sichtweise geht davon aus, dass die Eröffnung – oder eher Umnutzung – eines Marine-Hauptquartiers der Bundeswehr in Rostock einen Verstoß gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag darstellt.
So scharf die Töne aus dem russischen Außenministerium ausfallen, so wenig hält die russische Ansicht indes einer rechtlichen Beurteilung stand. Der wiederholte Verweis auf angebliche Verletzungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages gehört inzwischen zum festen Repertoire russischer sowie pro-russischer Argumentationsmuster. Völkerrechtlich ist die Umnutzung des Marine-Hauptquartiers aber unbedenklich und verstößt insbesondere nicht gegen die Stationierungsklausel des Zwei-plus-Vier-Vertrags.
Die Stationierungsklausel des Zwei-plus-Vier Vertrages
Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12.9.1990, genauer der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den vier Siegermächten und den damals existierenden beiden deutschen Staaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Nur dem Namen nach handelt es sich bei dem Vertrag um keinen Friedensvertrag, er hat aber, auch wenn Details dazu Gegenstand eingehender rechtswissenschaftlicher Diskussion waren, eine entsprechende Wirkung und beendete rechtlich definitiv die Nachkriegszeit in Deutschland. Die vier Siegermächte beendeten in Art. 7 Abs. 1 ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes, wodurch das vereinte Deutschland seine uneingeschränkte Souveränität zurückerlangte.
Artikel 5 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages betrifft die Fragen der Stationierung von Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. In Art. 5 Absatz 1 wird eine Übergangsregelung für den Zeitraum bis zum Abschluss des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte aus dem Gebiet der ehemaligen DDR und Berlin getroffen. Bis zum Abschluss dieses Abzuges verpflichtete sich das vereinte Deutschland, ausschließlich deutsche Verbände der Territorialverteidigung zu stationieren, die nicht in NATO-Bündnisstrukturen integriert sind. Die Details des Abzugs der sowjetischen Truppen wurden in einem weiteren Vertrag geregelt und bis Ende 1994 fristgerecht abgeschlossen.
Art. 5 Absatz 2 sicherte einerseits den Bestand der alliierten Truppen in Westberlin und begrenzte diese zugleich auf „die Dauer des Aufenthalts sowjetischer Streitkräfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik“.
Maßgebend für die Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Anwesenheit ausländischer Soldaten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist Art. 5 Absatz 3, der im Wortlaut wie folgt lautet:
(3) Nach dem Abschluß des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger. Darunter fallen nicht konventionelle Waffensysteme, die neben konventioneller andere Einsatzfähigkeiten haben können, die jedoch in diesem Teil Deutschlands für eine konventionelle Rolle ausgerüstet und nur dafür vorgesehen sind. Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.
Nach Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 ist danach die Einordnung von deutschen Streitkräfteverbänden in Strukturen der NATO auch im Gebiet der ehemaligen DDR und Berlin ausdrücklich zulässig. Maßgebend ist hier der Art. 5 Absatz 3 Satz 3, wonach ausländische Streitkräfte „in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt“ werden dürfen. Dies schließt sowohl die dauerhafte physische Präsenz als Stationierung von NATO-Truppenverbänden als auch die Errichtung von militärischer Infrastruktur, wie festen Basen ausländischer Streitkräfte aus. Entscheidend ist hier also, ob es sich um eine solche „Stationierung“ handelt. Der Begriff „stationiert“ wird im Vertrag selbst nicht weiter ausgeführt.
Unterstellung und Funktion des „Commander Task Force Baltic“ (CTF Baltic)
Die Ostsee hat seit dem Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine 2014 wieder an Bedeutung als Arena sicherheitspolitischer Konfrontation zwischen einem revanchistischen Russland einerseits und den NATO- bzw. EU-Mitgliedsstaaten andererseits gewonnen. Der maritime Raum ist dabei nicht nur Ort der Energieversorgung, des Handels, militärischer Nachversorgung aller Anrainer sowie möglicher direkter militärischer Auseinandersetzung im Kriegsfall, sondern auch Arena hybrider Konfrontation, Machtprojektion und ein Ort an dem die Kooperation innerhalb der NATO auf dem Prüfstand steht. In Folge der neuen Gefahrenbewertung beschloss die NATO 2017 eine Anpassung der Kommandostrukturen und regionale taktische Hauptquartiere ins Leben zu rufen. Die Deutsche Marine hatte durch die Aufstellung des nationalen DEUMARFOR (German Maritime Forces Staff) in Rostock – der ausgelegt war, in ein künftiges BMCC (Baltic Maritime Component Command) aufzuwachsen – entscheidende schnelle Schritte in die Wege geleitet. Der damalige Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, hatte schon 2014 erkannt, dass die Ostsee wieder rapide an sicherheitspolitischer Bedeutung gewinnen würde und rief zu diesem Zwecke die multinationale Baltic Commanders Conference (BCC) ins Leben.
Bis 1990 war die Ostsee eines der beiden zentralen Gebiete, in denen ein (west-)deutscher Verteidigungsbeitrag gefordert wurde. Mit dem Ende des Kalten Kriegs und der Hinwendung von NATO und Streitkräften zu Krisenreaktion und Konfliktverhütung, verbunden mit dem politischen Drang, durch Reduktion eine Friedensdividende einzufahren, schrumpfte auch die Deutsche Marine substantiell. Gleichzeitig blieb die Marine die größte ihrer Art im Ostseeraum (mit Ausnahme der Baltischen Flotte Russlands), so dass die Bundesrepublik sich spätestens seit der Eskalation des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022 gezwungen sah, eine Führungsfunktion unter den NATO-Ostseemarinen (dazu gehören auch jene, die rotierende Kräfte abstellen) wahrzunehmen. Die Bundesrepublik konnte sich gegen den Mitbewerber Polen durchsetzen und den Stab CTF Baltic auf dem Gelände des Marinekommandos in der Hanse-Kaserne Rostock ansiedeln.
Ausgewählte sicherheitspolitische Zwischenfälle zeigen, dass es in und auf der Ostsee ein dezidiertes Lagebild braucht, um eigene Kräfte zu führen und zu koordinieren. Zu den bekanntesten Ereignissen ihrer Art zählen unbekannte U-Boot-Sichtungen vor Schweden, die Sabotage an den Nord Stream-Gaspipelines, das systematische Auftauchen russischer Forschungsschiffe in der Nähe kritischer maritimer Infrastruktur, der zunehmende Verkehr einer „Schattenflotte“ in der Ostsee sowie regelmäßige Seemanöver der Russischen Marine, bisweilen unter Teilnahme von Kräften aus China oder Indien.
Gleichzeitig ist es von erhöhter Bedeutung, über ein möglichst vollumfängliches maritimes Lagebild zu verfügen, um eigene Kräfte zu koordinieren. Dazu zählen neben den NATO-Marinen der unmittelbaren Ostseeanrainer auch die Seestreitkräfte anderer Alliierter. So sind die US-Marine, die britische Royal Navy, die französische Marine National und die spanische Armada mit rotierenden Kräften in der Ostsee präsent, beispielsweise während Manöver wie Baltops und Northern Coasts oder Operationen der stehenden maritimen Einsatzgruppen der NATO. Der Stab CTF Baltic als ein nationales Hauptquartier der Deutschen Marine auf der obersten taktischen Ebene sorgt für eine strukturierte Organisation in Frieden, Krise und Krieg.
Beim CTF Baltic handelt es sich um keine Einrichtung der NATO, also kein NATO-Hauptquartier, es ist ein nationales, deutsches Hauptquartier mit multinationaler Beteiligung aller NATO-Ostseeanrainer und anderer Partner. Damit überschreitet die Umwandlung des Führungsstabs in Rostock nicht die Schwelle des Stationierungsverbots des Artikel 5 Absatz 3 Satz 3.
Die Einbindung einzelner Verbindungsoffiziere aus anderen NATO-Mitgliedstaaten in eine deutsche Dienststelle, verstößt nicht gegen die Stationierungsklausel des Zwei-plus-Vier Vertrages. Durch ihre organisatorische Einbindung in einen deutschen Verband unterliegen diese der Führung der Bundeswehr. Zudem sind seit dessen Aufstellung 2012 im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam – und damit auf dem ehemaligen Territorium der DDR – Verbindungsoffiziere aus anderen NATO-Staaten tätig, nur war dies zum damaligen Zeitpunkt, in einem anderen politischen Klima, kein Gegenstand von Kontroversen. Auch die im Einsatzführungskommando tätigen ausländischen Soldaten fallen nicht unter den Begriff der „Streitkräfte“ nach Art. 5 Abs. 3, die historisch und vom Sinn und Zweck her als bewaffnete Truppenkontingente verstanden werden müssen. Zweck der Regelung war es, damaligen sowjetischen Sicherheitsbedenken Rechnung zu tragen und den Verbleib des wiedervereinten Deutschlands in der NATO stationierungsrechtlich aufzufangen. Spätestens mit Erweiterung der NATO um mehrere Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes hat ist dieser Zweck der Regelung in Art. 5 Abs. 3 politisch überholt.
Prinzipielle völkerrechtliche Zulässigkeit der NATO-Osterweiterung
Die Behauptung, im Zuge der Wiedervereinigung sei eine Erweiterung der NATO um weitere Mitglieder ausgeschlossen worden,1) entbehrt einer völkerrechtlichen Grundlage, zählt aber zu den langlebigen gezielten Missverständnissen.2) Rekurriert wir dabei wiederholt auf eine dem US-Außenministers James Baker zugeschriebene Formulierung in einem Gespräch am 2. Februar 1990 gegenüber dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, wonach die NATO sich nicht einen Schritt weiter ostwärts ausdehnen werde (“not one inch eastward”), sofern die Sowjetunion der deutschen Wiedervereinigung zustimme. Diese Formulierung stammt aus dem Verhandlungsstadium des Zwei-Plus-Vier Vertrages, es findet sich aber keine entsprechende völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung in irgendeinem Vertrag. Hierzu wird eher vage auf den „Geist der Zeit“ allgemeiner sicherheitspolitischer Kooperation Bezug genommen, der die Verhandlungen damals getragen habe, wie etwa durch den damaligen Leiter der Verhandlungsdelegation der DDR Hans-Jürgen Misselwitz. Auch bei einer sehr weiten Auslegung, kann darin höchstens noch eine Anregung eines rechtlich unverbindlichen „Gentlemen’s Agreement“ gesehen werden.3)
Der Wortlaut des Vertrages ist aber die Grenze der Auslegung (Art. 31 Abs. 2 WÜRV) und aus dem Wortlaut des Zwei-plus-Vier Vertrages lässt sich keinerlei solche Verpflichtung entnehmen, vielmehr trifft dieser dazu keine Aussage. Wie hätten auch die vier Siegermächte und zwei deutschen Staaten eine Regelung über die Bündniszugehörigkeit einer Vielzahl osteuropäischer Staaten treffen können? Eine solche Regelung hätte nicht nur eklatant deren Souveränität verletzt, sondern sie hätte auch als Vertrag zu Lasten Dritter dem Grundsatz aus Art. 34 des Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜRV) pacta tertiis nec nocent nec prosunt widersprochen.
Verletzung des Zwei-Plus-Vier Vertrages als wiederholtes Argumentationsmuster
Eine vermeintliche Verletzung des Zwei-Plus-Vier Vertrages zu reklamieren, ist ein wiederholt auftretendes, russisches und pro-russisches Argumentationsmuster. Am 21. Februar 2024 forderte der russische Duma-Abgeordnete Juri Hempel, zugleich Abgeordneter im Staatsrat der von Russland annektierten Krim und Vorsitzender der Gemeinschaft der Krimdeutschen, den Zwei-plus-Vier Vertag zu kündigen, da Deutschland sich daran nicht halte. Auch wurde wiederholt behauptet, aus einer Gesamtschau mehrerer Artikel des Vertrages ergäbe sich, dass Waffenlieferungen gegen den Vertrag verstießen, was völkerrechtlich jeder Grundlage entbehrt und auf einer falschen, exzessiv weiten Interpretation der Formulierung in Art. 2 Absatz 1, „daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“ basiert.
Fragen nach der Vereinbarkeit mit dem Zwei-Plus-Vier Vertrag würden sich ohnehin nur stellen, wenn dieser für den jeweiligen Sachverhalt überhaupt irgendeine Relevanz entfaltet. Der Vertrag ist kein alleinstehendes Dokument, sondern Teil des Zwei-Plus Vier-Prozesses und muss im Zusammenwirken mit verschiedenen Erklärungen gesehen werden, wie der auf bundesdeutscher Seite damals beteiligte Rechtsberater Martin Ney 2017 eingehend dargelegt hat.
Im April 2024 begann zudem die dauerhafte Auslandsstationierung einer deutschen Brigade in Litauen als Teil der NATO-enhanced forward presence, ein Novum für die deutsche Bundeswehr. Dieser Stationierungsort befindet sich gut 800 Kilometer Luftlinie weiter östlich als der Standort des CTF Baltic in Rostock und ist eine völkerrechtlich klar zulässige Verlegung. Daher stellt sich die Frage, ob das Stationierungsverbot des Art. 5 Absatz 3 aus dem Zwei-Plus-Vier Vertrag nicht eigentlich gegenstandslos geworden ist . Wie sich spätere Vereinbarungen und spätere Praxis auf die Auslegung von Verträgen auswirken, war Gegenstand eingehender Untersuchung der International Law Commission, (ILC). Hier stellt sich sogar die Frage, ob hinsichtlich der Stationierungsbeschränkung aufgrund der Regimeänderungen in Russland nicht gar eine Art Wegfall der Geschäftsgrundlage im Sinne des Grundsatzes rebus sic stantibus eingetreten ist (Art. 62 Abs. 1 WÜRV). Insofern haben Verweise auf den zum Zeitpunkt der Zwei-Plus-Vier Verhandlungen herrschenden Geist der Kooperation einen ironischen Beiklang. Nicht erst, aber spätestens mit dem eklatant völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf die Ukraine 2022, ist der jedenfalls gescheitert. Von Personen politisch sehr unterschiedlicher Orientierung wird ungeachtet der völkerrechtlichen Bewertung konstant mit Verweis auf den Zwei-Plus-Vier-Vertrag eine vermeintliche Provokation Russlands angenommen, was verkennt, dass die Eskalationsdynamik nicht maßgeblich von westlichem oder gar deutschem Verhalten abhängt.4) Die Umwidmung eines deutschen maritimen taktischen Hauptquartiers ist jedenfalls völkerrechtskonform und vollends im Einklang mit dem Zwei-Plus-Vier Vertrag.